Meinung

Gegenentwurf zur EU: Der eurasische Kontinent und das Konzept souveräner Nationalstaaten

Die Integration des eurasischen Kontinents schreitet voran. Jenseits der EU vertiefen und erweitern sich mächtige transnationale Organisationen, die ihre Mitgliedsstaaten nicht zum Aufgeben ihrer nationalen Souveränität zwingen. Die EU mutet im Vergleich dazu als ein totalitärer Gegenentwurf an.
Gegenentwurf zur EU: Der eurasische Kontinent und das Konzept souveräner NationalstaatenQuelle: Gettyimages.ru © The Studio Dog / Photodisc

von Gert Ewen Ungar

Die breite Berichterstattung deutscher Medien über die Ukraine-Krise und die Rückwirkungen der selbst verhängten Sanktionen gegen Russland auf die EU und Deutschland verdecken die größeren Entwicklungslinien, in welche all diese Vorgänge eingebettet sind. Der Ukraine-Konflikt ist aus etwas höherer Perspektive betrachtet lediglich ein Konflikt unter ganz vielen anderen. Syrien, Jemen, Libyen, Mali, um nur einige zu nennen. In Syrien annektiert die Türkei aktuell Teile des Nordens, ohne dass sich wie bisher deutsche Medien für diesen Völkerrechtsbruch jemals interessieren würden. 

Die westlichen Sanktionen gegen Syrien haben zudem das Ziel, Hungerrevolten auszulösen, um so doch noch einen Regime-Change zu bewirken. Diese nicht nur unter ethischen, sondern auch unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten verachtenswerte Strategie westlicher Politik wird in den großen deutschen Medien nicht erwähnt oder gar besprochen. Lediglich von eben diesen großen Medien verunglimpfte kleine Formate wie etwa die NachDenkSeiten bieten Berichten über die Wirkungsweise deutscher und westlicher Außenpolitik eine Plattform. 

Die breite Unterdrückung dieser Fakten verhindert jedoch nicht ihre Auswirkungen. Es mag sein, dass man in Deutschland darüber nichts weiß, in Syrien und all den anderen malträtierten Regionen dieser Welt weiß man sehr wohl, wer für all das Leiden dort verantwortlich ist. Und für all jene, die jetzt rätseln, wer mag da wohl verantwortlich sein, hier ein Tipp: Es ist nicht Russland. 

Es ist eine Tatsache: bei einer großen Zahl der bewaffneten Konflikte hat der Westen seine Finger im Spiel, verfolgt er seine geopolitischen Interessen. Völkerrechtswidrige Sanktionen des Westens gegen eine Vielzahl von Ländern der Welt, welche dort die Zivilbevölkerung und deren Versorgung treffen, sind bei uns kaum ein Thema. In anderen Regionen der Welt nimmt man das westliche Regime sehr wohl wahr und weiß auch, westliche Politik jenseits ihrer moralischen Hybris einzuordnen. 

So mag es zwar deutschen Politikern wie Frau Baerbock, Herrn Habeck und all den anderen Protagonisten einer weltfremden Politik völlig unverständlich sein, warum trotz allen Werbens, Bittens und Flehens die Welt sich nicht hinter den westlichen Sanktionen gegen Russland versammelt. Es sei ihnen hier erklärt. Ja, Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Ja, das ist ein Bruch des Völkerrechts. Aber außerhalb des Westens löst das nur Schulterzucken aus: Na und? 

Der Westen hat unzählige Male seine geopolitischen Interessen völkerrechtswidrig militärisch durchgesetzt oder durchzusetzen versucht. Die verheerenden Folgen haben im Westen niemanden der politisch Verantwortlichen gejuckt. Jetzt ist es andersrum. Russland setzt gegenüber dem Westen seine sicherheitspolitischen Interessen militärisch durch, und den Großteil der Welt juckt es nicht, im Gegenteil.

Außerhalb der westlichen Blase nimmt man sehr wohl wahr, dass diesem Einmarsch jahrelange diplomatische Bemühungen vorausgegangen waren, welche der Westen allesamt gegen die Wand fahren ließ. Genau an dem Scheitern dieser russischen Bemühungen auf dem Verhandlungsweg wird aber für die Beobachter außerhalb der westlichen Hemisphäre auch der imperialistische Charakter des Westens deutlich. Die zur Schau gestellte scheinbare Gesprächsbereitschaft diente nur der immer weitergehenden Eskalation und dem Ziel, die westliche Einfluss-Sphäre weiter auszudehnen. Russland bietet genau dieser imperialistischen Strategie jetzt Einhalt, wobei sich die Mehrzahl der Länder der Welt dazu entweder neutral verhält oder Russland sogar Rückhalt bietet. Man ist der doppelten Standards des Westens überdrüssig. 

Der eurasische Kontinent östlich von der EU rückt immer weiter zusammen und baut zudem ein weltweites Netzwerk und Organisationen als Alternative zu westlichen Institutionen auf. Die BRICS-Staatengemeinschaft ist hierfür sicherlich das deutlichste Beispiel. Die BRICS, bisher bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika vergrößern sich deutlich. Drei der fünf BRICS-Staaten liegen in Eurasien und repräsentieren mit ihrer Bevölkerung schon jetzt rund 3 Milliarden Menschen. Zum Vergleich: Die EU kommt mit 440 Millionen Einwohnern auf nicht einmal ein Sechstel davon. Iran, die Türkei, Kasachstan, Indonesien, Argentinien, Thailand und Ägypten gelten als potenzielle BRICS-Beitrittskandidaten. 

Darüber hinaus bildeten sich in Eurasien große sicherheitspolitische Bündnisse wie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und die Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS). All diese Organisationen vertreten einen immer größer werdenden Teil der Weltbevölkerung und damit die wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen des größten Teils des eurasischen Kontinents. Aus diesen Bündnissen entstehen Institutionen wie die New Development Bank. Sie ist eine Alternative zu dem vom Westen und seinen Regeln dominierten Internationalen Währungsfonds (IWF). Was die oftmals als hysterisch einzustufende Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt verdeckt, ist die Tatsache, dass die übrige Welt mittlerweile des Westens überdrüssig geworden ist.  

Die Integration des eurasischen Kontinents verläuft sicherlich nicht reibungslos – eher schubweise als kontinuierlich –, aber weitgehend frei von Konflikten. Im Gegenteil haben die neuen transnationalen Bündnisse sogar die Fähigkeit, solche Länder aufzunehmen, die miteinander in Streit liegen – in der Hoffnung, dass sich die regionalen Konflikte durch Handel, Austausch und gemeinsame politische Ziele lösen. 

Was all diese Bündnisse in grundlegender Weise von der EU unterscheidet, ist, dass ihre Mitgliedsstaaten nationale Souveränität nicht aufgeben oder einschränken müssen. Diese großen Bündnisse sind nach den Regeln der UN-Charta konstruiert. In allen Abschlusserklärungen und Kommuniqués wird auf die UN-Charta und das Völkerrecht Bezug genommen. Sie sind für die großen neuen Staatenbündnisse handlungsleitend. Bei der EU sieht das bis heute ganz anders aus. 

Die EU höhlt die Souveränität der Nationalstaaten aus, indem sie die Macht ihrer Kommission in Brüssel permanent ausweitet. Der Ukraine-Krieg ist das beste Beispiel dafür. Er hätte vermieden werden können, hätte der Westen den Sicherheitsbedenken Russlands Rechnung getragen. Hätte man auf die Durchsetzung des ultimativen EU-Assoziierungsabkommens gegenüber der Ukraine 2013 verzichtet und der Ukraine auch keine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, so hätte es alles darauf Folgende seit 2014 nicht gegeben. Der Westen aber ist territorial und ideologisch expansiv. 

Auch innerhalb der EU weiten die Organe der EU ihre Macht beständig aus. Zum einen erlässt die Kommission Anordnungen für Bereiche, über die sie laut den EU-Verträgen gar nicht zu entscheiden hat, jüngst beispielsweise das Verbot von RT und anderen russischen Medien innerhalb der ganzen EU. Die Kommission ist für das Medienrecht in den Nationalstaaten nicht zuständig. In der aktuellen antirussischen Hysterie nahmen es die Nationalstaaten dennoch hin, dass die Kommission in ihren Hoheitsbereich hineinregiert. Man kann sich sicher sein, dass damit ein Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen wurde. Die Kommission wird künftig auf die Möglichkeit nicht verzichten, den Nationalstaaten vorzuschreiben, was bei ihnen gesendet werden darf und was nicht. 

Auch das Projekt der erneuten Aufnahme von Schulden am Finanzmarkt durch die Kommission zur Finanzierung der "Hilfen" für die Ukraine ist ein Verstoß gegen die Verträge. Die Schuldenaufnahme ist der Kommission grundsätzlich verboten. Sie tut es dennoch. Der dafür geschaffene Präzedenzfall war die Corona-Krise und der Corona-Wiederaufbau-Fonds. Es sollte zunächst angeblich eine der Not geschuldete Ausnahme bleiben, beteuerte die Kommission und wurde nach weniger als einem Jahr wortbrüchig. 

Selbst für die Raumtemperatur in den Büros auf dem Gebiet der EU fühlt sich die EU-Kommission inzwischen zuständig. Die möchte sie angesichts einer möglichen Gasknappheit im Winter per Verordnung auf 19 Grad Celsius herunterregeln. Begleitet und flankiert werden diese totalitären und unkontrollierten Machtausweitungen vom europäischen Gerichtshof EuGH. Der setzt mit seinen Richtersprüchen kurzerhand Recht, das die Nationalstaaten als EU-Mitglieder dann gefälligst umzusetzen haben. Auch der EuGH weitet seine Kompetenzen immer weiter aus und spricht selbst Recht zu Dingen, die ihn per Vertrag eigentlich nichts angehen. Die deutschen Medien begleiten das alles wohlwollend, denn die EU gilt ihnen als irgendwie heilig und super. Zumindest besser als Länder wie China, Russland, Iran oder die Türkei, die schon deswegen irgendwie blöd sind, weil sie sich ihre nationale Souveränität gegenüber westlicher Einmischung erhalten haben. Das aber ist genau die Konfliktlinie, die sich durch den eurasischen Kontinent zieht. Die EU und Deutschland tun sich schwer mit der Souveränität anderer Staaten.

Im Gegensatz zu all den anderen transnationalen Organisationen, die auf dem eurasischen Kontinent existieren, untergräbt die EU die Souveränität ihrer Mitgliedsstaaten und wandelt sich immer schneller zu einer rechtsautoritären, totalitären Technokratie. Faktisch verhält es sich nämlich entgegengesetzt zur Selbstwahrnehmung der EU: Nicht die sogenannten Autokratien bedrohen die EU, sondern die EU wird immer erkennbarer selbst zu einer Autokratie, welche sogar die Souveränität auch der Länder Eurasiens bedroht. 

Damit wird aber auch ein zentrales Problem des eurasischen Kontinents deutlich. Eurasien integriert sich unter Achtung der jeweiligen kulturellen Identitäten der Länder. Die Länder Eurasiens verabreden eine immer weitergehende Zusammenarbeit auf Augenhöhe und unter Achtung ihrer Souveränität als eigenständige Nationen. Allerdings hat Eurasien an seinem Rand ein Extremismus-Problem – dieses Problem heißt EU. Die EU kennt nur Unterwerfung, aber keine Partnerschaft. Mit der EU kann es daher keinen Frieden geben, denn der Konflikt, das Sanktionieren bis hin zum militärischen Krieg sind ihrem System inhärent. So wird uns der Ukraine-Konflikt wohl bis zum völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch der EU und ihrer Nationalstaaten noch einige Zeit erhalten bleiben. Die übrigen Länder dieser einen Welt wird es allerdings wenig jucken.

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