Meinung

Großrazzia bei "Reichsbürgern": Wenn das Lachen im Halse stecken bleibt

Schnell war klar, dass die "größte Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik im Bereich der politisch motivierten Kriminalität" in erster Linie ein großer Witz war. Doch der Hintergrund ist ernst. Sehr ernst.
Großrazzia bei "Reichsbürgern": Wenn das Lachen im Halse stecken bleibtQuelle: www.globallookpress.com © Kay Nietfeld

Von Tom J. Wellbrock

Ein paar Leute – die einen mehr, die anderen weniger verwirrt – haben also versucht, das politische System in Deutschland, die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit einem Staatsstreich ins Nirwana zu schicken und die Macht an sich zu reißen. So die Erzählung. In den sozialen Medien und den Kommentarbereichen des Mainstreams erntete diese Erzählung schnell Häme und Belustigung. Doch wirklich komisch ist das alles nicht. Ein Facebook-Post dazu:

"Diese Reichsbürger-Nummer war ein Geniestreich der Autokraten! Mit der Hilfe willfähriger Journalisten ist es gelungen, aus ein paar alten Leuten eine neue Terror-Generation zu inszenieren.

In die Schublade der Demokratiefeinde und Terroristen sind nun Reichsbürger, AfDler, Corona-Kritiker, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme, Impfgegner und pauschal alle kritischen Geister eingetütet worden.

Somit ist es gelungen, in weiser Voraussicht jede Kritik und jeden Widerstand in die terroristische und somit kriminelle Ecke zu stellen.

Das ist der Unterschied zu anderen Autokratien: Kritiker gehen nicht mehr von sich aus in den Untergrund, sie werden von der staatlichen Hand sanft, aber bestimmt, dort herübergezogen."

Und tatsächlich hat die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sogleich nachgelegt und erklärt, worum es im Kern geht.

Staatsangestellte sollen also aus dem System quasi eliminiert werden, wenn der Arbeitgeber vermutet, es könnte sich um Rechtsextreme handeln. Mit viel Wohlwollen könnte man diesen Ansatz sogar so stehen lassen, doch es gibt zwei Probleme:

  1. Wann ist jemand als rechtsextrem einzustufen?

  2. Welche rechtsextremen Vergehen müssen vorliegen?

Diese Fragen sind alles andere als trivial. Denn spätestens seit der Corona-Episode wissen wir, dass die Titulierungen "rechts", "rechtsextrem", "antisemitisch" und zahlreiche weitere sehr sorglos und unreflektiert verwendet werden. Und das beginnt bereits bei der Unterscheidung zwischen "rechts" und "rechtsextrem". Letzteres kann durchaus zu justiziablen Handlungen führen, die verfolgt werden müssen.

Dagegen ist die Tatsache, dass jemand "rechts" ist, weder verboten noch justiziabel. Man vergisst es heute gern, aber die politisch rechte Einstellung ist etwas, das noch vor Jahren als völlig normal galt, und wer rechte Positionen vertrat, tat das mit der Überzeugung eines Demokraten.

Doch inzwischen verortet sich die regierende Politik lieber in der "Mitte", was immer das auch bedeuten mag. Ein schwammiger Begriff, inhaltsleer und konstruiert volksnah, der nichts über politische Praktiken aussagt.

"Das beweisen Sie erst mal!"

Dass Nancy Faeser "Reichsbürger", "Rechtsextreme" und was womöglich noch als einordnende Attribute folgen mögen, gern aus dem Staatsdienst entfernen möchte, ist also bereits mehr als bedenklich. Doch Faeser wäre nicht Faeser, wenn sie nicht noch einen draufsetzen würde. Von einer Umkehr der Beweislast spricht sie. Daher schwebt ihr eine Veränderung des Disziplinar- und Beamtenrechts vor. Faeser wörtlich:

"Was mich schon seit Langem umtreibt, ist, dass wir eine Möglichkeit schaffen, die Beweislast umzukehren. Das heißt, wenn Tatsachen vorliegen, dass dann derjenige auch beweisen muss, dass es eben nicht so ist, anstelle dass der Staat immer nachweisen muss, sehr kompliziert, dass eben andere Gründe dafür vorliegen, dass er nicht verfassungstreu ist."

Was Faeser umtreibt, ist also die Umkehrung der Beweislast. Was das bedeuten kann, machen das aktuelle Beispiel der Großrazzia und eine Reaktion darauf von Lars Klingbeil (SPD) deutlich. In der Zeit ist nachzulesen:

"Nach der Großrazzia in der sogenannten Reichsbürgerszene hat SPD-Chef Lars Klingbeil Konsequenzen für die AfD gefordert. "Die AfD gehört flächendeckend auf die Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes und nicht in Parlamente, Gerichte oder den öffentlichen Dienst", sagte Klingbeil der Nachrichtenagentur dpa. Die Razzia habe abermals eine enge Verbindung der gewaltbereiten rechtsextremen Szene mit der Partei gezeigt. Die AfD sei eine "offen verfassungsfeindliche Partei", die als "parlamentarische Schnittstelle für Hass, Hetze und Gewalt" agiere."

Folgt man Faesers Ansinnen, kann Klingbeil nicht nur behaupten, dass die AfD "eine enge Verbindung" zur "gewaltbereiten rechtsextremen Szene" habe, sondern auch, dass sie "offen verfassungsfeindlich" sei. Den Beweis, dass diese Unterstellung nicht den Tatsachen entspricht, muss also die AfD antreten, und solange sie das nicht kann, ist es eben so, wie Klingbeil behauptet.

In der politischen Praxis ist das fraglos ohnehin bereits so, Parteien wie Menschen werden in eine Gesinnungsschublade gesteckt, ohne sich faktisch dagegen wehren zu können. Doch im Moment ist das "nur" gesellschaftlich und medial relevant, geht es nach der Innenministerin, ist es künftig justiziabel. Und wenn dem so wäre, droht unliebsamen Geistern statt Diffamierungen dann ganz schnell Berufsverbot und/oder Gefängnis.

Der totalitäre Staat

Es ist bemerkenswert, was wir in Deutschland seit dem Beginn der Corona-Episode erleben. Nach und nach werden immer mehr Bürgerrechte ausgehebelt, "rote Linien" vom Kanzler als nicht mehr existent bezeichnet und die Gesetzeslage immer drastischer. Das Überschreiten dieser "roten Linien" ist nicht weniger als der schrittweise Abschied von den Resten dessen, was hierzulande gern und fälschlich immer noch "Demokratie" genannt wird.

Doch gleichsam kann man sich fragen, ob die Machteliten aus Politik und Medien sich im Klaren darüber sind, wohin ihr Handeln führen kann. Denn die Feindbilder nehmen ständig zu, nach und nach muss jeder Bürger damit rechnen, urplötzlich ebenfalls in einer Gesinnungsschublade zu landen, und es ist gut möglich, dass er nicht einmal weiß, wie das passieren konnte.

Damit wendet sich der Staat von immer größeren Teilen der Bevölkerung ab. Und wird sie auf diesem Weg verlieren. Die Regierung setzt also vermehrt auf Kollision und Konfrontation, sie entdeckt täglich neue "Staatsfeinde" und sieht sich gezwungen, sich gegen diese vermeintlichen Gefahren zur Wehr zu setzen. Doch eine wirklich wehrhafte Demokratie setzt sich aus den Menschen zusammen, die in ihr leben. Sie speist ihre Stärke aus Überzeugungen und Solidarität, die die Menschen miteinander teilen.

Insofern befindet sich die Bundesregierung auf einem Weg des dünnen Eises. Diejenigen, die sie unterstützen, gehen ihr schrittweise verloren, doch es ist die große Gruppe der "Stillen" und "Überzeugten", die die praktizierte Politik ermöglichen. Wenn sie der Politik den Rücken kehren, werden die Zustimmung und der Zusammenhalt schwinden. Und wenn das passiert, wird die Politik weniger und weniger von dem, was bisher durchsetzbar war, in Zukunft durchsetzen können.

Es sei denn, man wendet Gewalt an. Und die wird irgendwann notwendig werden, um die Konstruktion zu erhalten, in der wir mittlerweile leben. Der Spott und die Häme nach der Großrazzia sind berechtigt, weil diese ganze Aktion so durchschaubar und dumm war, dass alles andere als eine solche Reaktion dem Wahnsinn nicht hätte gerecht werden können.

Doch das Lachen sollte schon jetzt vielen im Halse stecken bleiben. Inkompetenz und Dummheit zur Schau zu tragen, bedeutet nämlich keinesfalls, inkompetent und dumm zu sein. Beides wird auf dem Weg in den ausgebauten Totalitarismus gern als öffentliche Wahrnehmung in Kauf genommen, wenn es dem Erreichen der politischen Ziele nicht im Wege steht oder dabei sogar förderlich ist.

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