Meinung

Über die Unmöglichkeit des Einfrierens dieses existenziellen Krieges und eines westlichen "Plan B"

Chinas Bemühungen um den sofortigen Beginn eines Friedensprozesses in der Ukraine in allen Ehren, aber der kann nicht beginnen, bevor Russland in diesem existenziellen Krieg gesiegt hat. Und der Sieg ist nahezu sicher – ganz gleich, was die Ukraine und der Westen oder auch Skeptiker innerhalb Russlands glauben.
Über die Unmöglichkeit des Einfrierens dieses existenziellen Krieges und eines westlichen "Plan B"Quelle: Sputnik © Pawel Bednjakow

Eine Analyse von Geworg Mirsajan

Russland ist gegen ein Einfrieren des Konflikts in der Ukraine. Der Sprecher Dmitri Peskow des russischen Präsidenten Wladimir Putin erklärte dazu: "Russland zieht ausschließlich die Möglichkeit in Betracht, seine militärische Sonderoperation bis zum Ende durchzuführen, [nämlich] seine Interessen zu sichern [und] die Ziele Russlands entweder durch die militärische Sonderoperation oder andere verfügbare Mittel zu erreichen."

Diese Worte sind nicht nur eine Antwort auf die konkrete Frage eines Journalisten, sondern auch eine Reaktion auf Gerüchte, die in den letzten Monaten unter russischen und westlichen Fachleuten kursierten. Gerüchte nämlich, die sich eher auf die Strategie des Westens im Ukraine-Konflikt stützen:

Tatsache ist, dass die Eliten der USA und Europas jetzt auf einen ukrainischen Vorstoß setzen. Sie setzen darauf, dass Einheiten des Kiewer Regimes – bewaffnet und ausgerüstet mit mehr oder weniger modernem Gerät – erfolgreiche Offensivoperationen durchführen und ein für Russland schockierendes Ergebnis erzielen werden. Das heißt, dass sie entweder die Grenzen der Krim erreichen oder die durch Moskau befreiten Gebiete der Volksrepublik Lugansk besetzen oder Mariupol – unlängst ein Symbol des Sieges über den Ukro-Nazismus – zurückerobern oder schließlich einen Teil des "altrussischen" Territoriums besetzen, zum Beispiel das Gebiet Belgorod. In Washington, D.C. hofft man, dass solche Erfolge dann im Kreml einen Schock auslösen und so Russlands Staatschef zwingen werden, einer Beendigung des Konflikts zu westlichen Bedingungen zuzustimmen.

Doch ein solches Szenario erscheint höchst unwahrscheinlich – aber für den Westen wäre es die einzige Möglichkeit, eine akzeptable Konfliktlösung zu erreichen, ohne den Dritten Weltkrieg oder einen langwierigen Krieg zu riskieren, auf den die westliche Gesellschaft nämlich eigentlich gar nicht vorbereitet ist.

Doch falls (oder besser gesagt: wenn) die ukrainische Offensive dann gescheitert sein wird, weil nämlich die russische Armee – rechtzeitig für den Herbst mit neuen Kapazitäten der Waffenindustrie und auch mit Berufssoldaten wie Freiwilligen , die zwischen Januar bis Anfang Mai 117 Tausend Mann zählen, ausgerüstet – ihre eigene Offensive starten kann, muss der Westen zu seinem Plan "B" übergehen. Dann nämlich wird der Westen Moskau anbieten, den Konflikt einzufrieren: Entweder nach dem Prinzip "Jedem gehört, was er gerade kontrolliert" oder er wird – wie einige als "russisch" getarnte proukrainische Kanäle schreiben – durch verschiedene Deals versuchen, Russland das Kernkraftwerk Saporoschje und andere [strategisch wichtige] Gebiete abzuluchsen.

Und während die russischen Fachleute Pläne für derartige Deals einhellig ablehnen, herrscht dagegen in der Frage des Einfrierens keine Einigkeit. Einige Experten sind der Meinung, dass dies keine schlechte Option für Moskau sei und begründen das mit einer Reihe von Annahmen: Erstens, so diese Experten, spiele die Zeit gegen Moskau, das ja nicht in der Lage sein werde, einen Zermürbungskrieg auf Dauer gegen den gesamten kollektiven Westen zu gewinnen. Zweitens sei die russische Wirtschaft nicht in der Lage, den totalen Wirtschaftskrieg durch Sanktionen zu verkraften, der mit jedem neuen Sanktionspaket immer härter wird. Drittens, so diese Experten, sei Russland angeblich nicht zu ernsthaften Offensivoperationen imstande: Schließlich hat allein die Befreiung von Artjomowsk fast sechs Monate gedauert – und wie viele solcher Ortschaften gibt es allein im Donbass?

Deshalb, so sagen diese Experten, sollten wir realistisch sein und das nehmen, was einem gegeben wird: Also den Konflikt einfrieren – in der Erwartung [oder Hoffnung], dass dieses Einfrieren in Permafrost verwandeln werde und schließlich irgendwann in fernerer Zukunft zu irgendeiner Art von Friedensabkommen führen könne.

Peskow stellte jedoch klar, dass die russische Regierung dagegen sehr realitätsbezogen denkt. Dort arbeiten echte Realpolitiker – wie auch die meisten russischen Experten echte Realisten sind, die wissen, dass ein solches Einfrieren des Konflikts für Russland nicht nur sinnlos, sondern auch dauerhaft äußerst ungünstig wäre:

Denn zum einen spielt die Zeit sehr wohl für Moskau. Zwar wird in diesem Konflikt tatsächlich eine Strategie des Zermürbungskrieges angewandt. Aber im Rahmen einer solchen Strategie sollte man das Potenzial lediglich derjenigen Länder berücksichtigen, die den Konflikt garantiert bis zu einem siegreichen oder einem bitteren Ende fortsetzen wollen und bereit sind, wirklich alles in die Waagschale zu werfen, was sie haben. Und das sind die Potenziale Russlands auf der einen und der Ukraine auf der anderen Seite. Die ewige Hilfe führender westlicher Länder ist Kiew beileibe nicht garantiert. Der US-Wahlkampf zeigt bereits, dass ein großer Teil der US-Gesellschaft dagegen ist, weiterhin Dutzende Milliarden US-Dollar für die Unterstützung des Kiewer Regimes auszugeben. Erst recht dann, wenn sich diese Ausgaben nicht einmal in Form von Siegen über Russland auszahlen werden.

Zweitens hat das vergangene Jahr gezeigt, dass die russische Wirtschaft den Sanktionen durchaus gut standhalten kann und sich sogar mit deren "Hilfe" weiter modernisieren lässt. Im Jahr 2022 verließ eine Reihe westlicher Unternehmen Russland – und die USA und die EU bombardierten Moskau mit immer neuen Sanktionspaketen –, doch Russlands BIP sank lediglich um 2,1 Prozent, während das BIP der Ukraine bekanntlich um 30 Prozent zurückging. In diesem Jahr wird Russlands BIP voraussichtlich nur noch um wenige Promille schrumpfen, und schon im nächsten Jahr soll es auch wieder wachsen. Das liegt zum Teil an den grauen Importkanälen, aber auch an der Substitution der Importe in der Industrie, die Russland schon aufgebaut hat und weiter aufbaut (Ja: Es hat gedonnert, und der Russe hat sich endlich bekreuzigt, wie ein Sprichwort sagt).

Drittens: Es ist wahr, es hat lange gedauert, Teile des Donbass zu befreien. Dort liegt es jedoch nur an der großen Anzahl von städtischen Ballungsgebieten, in denen sich die Kämpfer des Kiewer Regimes hinter den als menschliche Schutzschilde missbrauchten Einheimischen verschanzt halten konnten.

Ein weiterer Grund war, dass viele dieser Kämpfer Berufssoldaten waren – nun jedoch sind sie mittlerweile zu einem großen Teil getötet oder schwer verwundet. Ein dritter Grund lag darin, dass das ukrainische Regime die westlichen Waffen, die es erhalten hatte, noch nicht gänzlich verloren und noch nicht alle Munition dafür verschossen hatte. Russland dagegen rollt jetzt gerade erst einmal richtig zum Gefecht vor. Wie oben zum Hochfahren der Rüstungsindustrie, zur materiellen und zahlenmäßigen Aufstockung seines Militärs und so weiter erwähnt.

Aber vor allem würde ein Einfrieren dieses Konflikts die Bedrohungen, die Russland ja dazu veranlassten, seine militärische Sonderoperation einzuleiten, überhaupt nicht ausräumen, sondern nur noch weiter verschärfen:

Nach einem Einfrieren des Konflikts würden die westlichen Länder die Ukraine weiter aufrüsten und neu ausstatten und sie von einem momentan "nur" antirussischen Staat weiter in einen echten Terrorstaat nach der Art des IS an Russlands Grenzen verwandeln. Truppen und auf den Kreml gerichtete Raketen des Westens würden dann auf diesem Territorium stationiert werden. In der Ukraine (zuallererst auch in den russischsprachigen Gebieten) würde antirussische Propaganda verbreitet werden. Und schließlich würde es von diesem Gebiet aus ständige Angriffe und immer wieder Beschuss auf russische Gebiete geben – genau so, wie die Ukraine den "eigenen" Donbass über all die Jahre seit dem vorherigen Einfrieren (in Gestalt des Minsker Abkommens) beschossen hatte und immer noch weiter beschießt.

Zusätzlich würde ein Einfrieren bedeuten, dass das Kiewer Regime die Kontrolle über einen Teil der russischen Gebiete im Donbass und in der Schwarzmeerregion behalten würde – was Russland nicht zulassen kann.

Deshalb hat Dmitri Peskow völlig recht: Ein Einfrieren des Konflikts ist für Moskau keinerlei echte Option. Nur die Lösung des Konflikts entweder auf diplomatischem Wege – was höchst unwahrscheinlich ist – oder durch die Fortsetzung der Kampfhandlungen ist möglich. Das Letztgenannte erscheint hierbei leider als das allein realistische Szenario.

Man muss die Befürworter des "Einfrierens" und eines neuen "Minsk", also die Apologeten der Theorien vom Schlage "russischer Schwäche" und "wir können nicht gewinnen"  eindringlich an Folgendes erinnern: Das Ziel des Westens in diesem Krieg besteht darin, Russland als Ganzes zu "kassieren", wie Wladimir Putin leider völlig zu Recht feststellte. Das Ziel ist sowohl eine Desintegration und als auch die völlige Zerstörung des russischen Staates und des geeinten russischen Volkes. Es handelt sich also dabei keineswegs nur um eine militärische Sonderoperation, sondern um einen sehr realen existenziellen Krieg – um einen Krieg, in dem es um Russlands Existenz geht. Und deshalb darf es kein Einfrieren geben, sondern kann es nur einen Sieg geben.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.

Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität in Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vereinigte Staaten von Amerika. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Mehr zum Thema – Montjan: Die Enthüllungen der Washington Post über Selenskij und russische Verhandlungsträume

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