Nahost

Waffenruhe bei einem fragilen Status quo: In Israel heulen nicht mehr die Sirenen

Die öffentliche Meinung in Israel ist "frustriert". Zum Gefühl der Corona-Müdigkeit gesellte sich der Konflikt mit der Hamas. Der palästinensischen Organisation war es in den letzten beiden Wochen erstmals gelungen, Raketenalarm auch in israelischen Metropolen wie Tel Aviv auszulösen.
Waffenruhe bei einem fragilen Status quo: In Israel heulen nicht mehr die SirenenQuelle: AFP © Mohammed Abed

Der bewaffnete Konflikt zwischen Palästinensern und der israelischen Armee im Gazastreifen hat nach elf Tagen vorerst ein Ende gefunden. Am frühen Freitagmorgen trat eine Waffenruhe in Kraft. Bis zum Freitagmorgen wurde in Israel kein weiterer Raketenalarm mehr wegen des Raketenbeschusses durch Palästinenser in Gaza ausgelöst, und im Gazastreifen wurden nach israelischen Angaben keine weiteren israelischen Angriffe verzeichnet.

Die israelische Tageszeitung Haaretz versucht in einem Meinungsbeitrag, aus diesem elftägigen Krieg eine Bilanz zu ziehen. Die Diskrepanz zwischen den begrenzten Zielen, die die israelische Armee erreichen wollte, und dem endgültigen Sieg, den die "Mehrheit der Öffentlichkeit" sehen wolle, werde groß bleiben. Die israelische Armee habe ihre Verteidigungsfähigkeit durch den Schlag gegen Tunnelsysteme und die Abfangbatterien des Iron Dome erheblich verbessert, was auf ihren fortschrittlichen technologischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten beruhe.

"Aber unter den gegenwärtigen Umständen bietet all dies keinen Sieg oder gar auch nur den Anschein eines solchen." 

Die öffentliche Meinung in Israel sei "frustriert". Zum Gefühl der Corona-Müdigkeit sei nun noch der Konflikt mit der Hamas getreten. Diesmal sei es der Hamas gelungen, auch Raketenalarm in Metropolen wie Tel Aviv auszulösen. "Die Bewohner im Zentrum des Landes erhielten einen kleinen Vorgeschmack darauf, was die Bewohner des Südens in den letzten 20 Jahren erlebt haben", kommentiert Haaretz.

Israels Ziel sei es gewesen, den palästinensischen Organisationen und ihren militärischen Fähigkeiten schweren Schaden zuzufügen, so dass sie in den kommenden Jahren nicht mehr auf Israel schießen würden. Der Leiter der Abteilung für Operationen im Generalstab, Generalmajor Aharon Haliva, habe diese Woche in einem optimistischen Tonfall erklärt, dass fünf Jahre Ruhe als "Erfolg" gewertet würden. Der Erfolg einer solchen "Abschreckungsoperationen" werde jedoch nur im Laufe der Zeit gemessen, kommentiert die israelische Zeitung weiter: 

"Das Ende der Operation Guardian of the Walls in den frühen Morgenstunden des Freitags lässt die Frage offen, wie mit der militärischen Vergrößerung der Hamas umgegangen werden soll. Von einer Operation zur nächsten ist eine konstante Linie sichtbar, die eine Verbesserung der Reichweite, der Anzahl und Fähigkeiten des Raketenarsenals und der Organisation anzeigt."

Die Raketen der Hamas seien zahlreicher und besser geworden. Der Hamas-Angriff habe Israels Militär überrascht und den Streitkräften das Überraschungsmoment genommen. Die Stellung der Hamas sei auch nach diesem Krieg politisch gestärkt worden, kommentiert die FAZ: 

"Eines ihrer Ziele, die öffentliche palästinensische Meinung weiter gegen die verachtete palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah auszurichten, scheint die Hamas erreicht zu haben. In Ostjerusalem gab es nach der Waffenruhe Feuerwerke, und auch international fand die Hamas Unterstützung als sogenannte Verteidiger von Jerusalem."

Ein Hamas-Funktionär sprach von "beispielloser weltweiter Unterstützung". Auch das erhöhe den Frust in der israelischen Bevölkerung, in der sich kein Siegesgefühl ausbreiten wolle, kommentiert ein FAZ-Autor aus Tel Aviv. Einer Umfrage zufolge wären mehr als siebzig Prozent der Israelis dafür gewesen, die Kampfhandlungen fortzusetzen. 

Die FAZ spekuliert, dass Israel auch im Gazastreifen das Modell seiner "Kampagne zwischen den Kriegen" wie in Syrien fahren könnte – "also beständige Angriffe auf militärische Anlagen und gegen Aufrüstungsversuche unternehmen müsste, ohne dass es zu einem offenen Krieg kommt". 

Al Jazeera ging der Frage nach, inwieweit der jüngste Krieg zwischen Hamas und der israelischen Armee die politische Wahrnehmung der US-Amerikaner beeinflusst habe.

Durch den "Bürgerjournalismus" der Palästinenser vor Ort seien die US-Amerikaner mit dieser Realität konfrontiert worden, dass die US-Militärhilfe für Israel "zu einer systematischen Entmenschlichung der Palästinenser beiträgt", ebenso wie "Militarisierung und Straflosigkeit zur Unterdrückung der Schwarzen in den USA beitragen".

"Die derzeitige Reaktion auf Israels Zwangsräumung von Palästinensern aus ihren Häusern im besetzten Ostjerusalem und die Bombardierung von Zivilisten in Gaza bringt die allmähliche Verschiebung der amerikanischen öffentlichen Meinung deutlich zum Ausdruck."

Jugendliche und Progressive, die nun über soziale Medien mit den Stimmen und Erfahrungen der Palästinenser konfrontiert werden, akzeptierten die bedingungslose Unterstützung Israels durch die etablierte Politik nicht mehr unkritisch, kommentiert Al Jazeera weiter.

Die Hamas habe ihre militärischen Fähigkeiten und ihr unterirdisches Tunnelnetzwerk in den vergangenen Jahren verbessert, das in den sieben Jahren seit dem letzten Gaza-Krieg fleißig ausgebaut worden sei, kommentiert die Jerusalem Post (JPost).

Israel habe sich während der jüngsten Operation "außergewöhnlich" gut geschlagen, indem es Teile des Tunnelsystems der Hamas zerstört und die Organisation damit um einige Jahren zurückgeworfen habe. Der Autor bei der JPost spekuliert, Israel brauche jetzt vielleicht, anstatt den Gazastreifen als "feindliches Territorium" zu betrachten, einen Paradigmenwechsel:

"Akzeptiert Israel einfach die Realität, dass es alle paar Jahre eine weitere Runde von Gewalt gibt, oder gibt es eine mögliche Alternative? Niemand weiß es."

Nach dem Waffenstillstand fragt nun Die Zeit, ob sich US-Präsident Joe Biden im israelisch-palästinensischen Konflikt wirklich die Finger verbrennen wolle oder könne. Auf seiner Agenda stand dieses Thema zu Beginn seiner Amtszeit ziemlich weit hinten", kommentiert die deutsche Wochenzeitung. Iran sei Biden wichtig, noch wichtiger aber sei die "Eindämmung des expansiven Machtanspruchs Chinas".

Und vor allem müsse sich Biden um die Pandemie und die innenpolitischen Probleme seines Landes kümmern. Innenpolitisch also hätten beide, Netanjahu und die Hamas, jeweils gewonnen. Aber was geschehe nun in diesem ewigen Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern? Wird sich irgendwas verändern? Könne der immer wieder beschworene sogenannte Friedensprozess – der Traum von einer Zweistaatenlösung – nun endlich angegangen und vielleicht sogar umgesetzt würden? "Mitnichten" lautet das pessimistische Fazit der Zeit

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