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Keine Erkenntnisse zum NSU: Böhmermann veröffentlicht angebliche Geheimdienstakten

Eigentlich sollte er 30 Jahre geheim bleiben. Am Freitag hat Jan Böhmermann nach seinen Angaben einen Bericht des hessischen Verfassungsschutzes veröffentlicht. Öffentlich wird der Vorgang als Veröffentlichung von "Akten zum NSU-Terror" beworben. Doch kurioserweise findet sich in dem Bericht eines nicht: Erkenntnisse zum NSU.
Keine Erkenntnisse zum NSU: Böhmermann veröffentlicht angebliche GeheimdienstaktenQuelle: Gettyimages.ru © Sebastian Gollnow/picture alliance

Die Plattform FragDenStaat und das ZDF Magazin Royale des umstrittenen Fernsehsatirikers und Moderators Jan Böhmermann haben nach eigenen Angaben als geheim eingestufte hessische "NSU-Akten" veröffentlicht. "Wir glauben, die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, was genau in jenen Dokumenten steht, die ursprünglich für mehr als ein Jahrhundert geheim bleiben sollten", heißt es auf der dazu eingerichteten Webseite. Um die Quellen zu schützen, seien die Akten komplett abgetippt und ein neues Dokument erstellt worden, um keine digitalen Spuren zu hinterlassen, schrieb Böhmermann auf Twitter.

Bei dem seit Freitag abrufbaren Dokument handelt es sich laut Deckblatt um einen Abschlussbericht zur Aktenprüfung im Landesamt für Verfassungsschutz Hessen im Jahr 2012. Der Bericht ist auf den 20. November 2014 datiert.

Zunächst gab es keine offizielle Bestätigung für die Echtheit der Dokumente vom hessischen Innenministerium oder Verfassungsschutz. Nach Einschätzung der hessischen Linken entsprechen sie offenkundig dem Original. "Sie scheinen vollständig und inhaltsgleich transkribiert worden zu sein", sagte der innenpolitische Sprecher der Linken im hessischen Landtag, Torsten Felstehausen. Man habe die Texte nebeneinander gelegt und verglichen. Die Abgeordneten hatten im Untersuchungsausschuss Zugang zu den Originalakten.

Nach Aussage der hessischen Linken wirft der Bericht "ein verheerendes Bild auf die Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz". Die Verfassungsschützer seien Hunderten Hinweisen auf Waffen- und Sprengstoffbesitz bei Neonazis nicht nachgegangen, sagte Felstehausen. Der Verfassungsschutz gehöre abgeschafft.

Eher zurückhaltend reagierten die anderen Fraktionen im hessischen Landtag. Die SPD-Fraktion sagte, sie wolle zunächst nichts dazu sagen. Die Grünen im Landtag teilten mit: "Wir schauen uns den Vorgang sehr genau an und werden ihn zu gegebener Zeit bewerten."

Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz teilte in einer sieben Zeilen langen Erklärung mit, es prüfe die veröffentlichten Dokumente. Bei daraus folgenden erforderlichen Maßnahmen, vor allem "im Hinblick auf enthaltene personenbezogene Daten und tangierte Staatswohlbelange", stehe man "im Austausch mit den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden". Nähere Angaben wollte ein Sprecher dazu nicht machen.

Was sich in dem jetzt veröffentlichten Bericht nicht findet, sind Erkenntnisse zum sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) oder irgendetwas, was zur Aufklärung der Morde, die diesem offiziell angelastet werden, beitragen kann. In dem langen Vorwort auf der Webseite, auf der das Dokument abrufbar ist, stellen die Verfasser selbst fest: 

"Es muss in aller Deutlichkeit gesagt sein: Was kaum vorkommt in den 'NSU-Akten', ist der NSU. Wer hofft, in diesen Berichten die Antwort auf offene Fragen zum NSU, Beweise für gezielte Vertuschungsversuche oder gar den Beleg für die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Mordserie zu finden, wird enttäuscht."

Über die Straftaten des NSU habe der hessische Verfassungsschutz keine relevanten Erkenntnisse in seinen Aktenbeständen gefunden. So lautet auch das zentrale Fazit, das der Bericht bereits auf der zweiten Seite in gefetteter Schrift zieht:

"Im Zuge der Prüfung auf eine Relevanz für das NSU-Verfahren fanden sich keine Bezüge zu den Rechtsterroristen des NSU und ihren Straf- und Gewalttaten."

Lediglich "bei sehr wenigen Aktenstücken" ließe sich im Nachhinein ein möglicher Bezug zum NSU-Trio ableiten oder es wurden Hintergrundinformationen mit möglichen Bezügen zum NSU-Umfeld sowie sonstige Hinweise zu möglichen rechtsterroristischen Aktivitäten im Allgemeinen erkannt, heißt es in dem Bericht weiter. 

Was Böhmermann und seine Kollegen somit veröffentlicht haben, ist die eigene "Manöverkritik" des hessischen Verfassungsschutzes. Fragen zu der offiziellen Version der Ereignisse werden auf diesem Wege nicht beantwortet, Zweifel an ihr nicht ausgeräumt werden.   

Der offiziellen Darstellung zufolge, die auch das Münchner Oberlandesgericht seinem inzwischen rechtskräftigen Urteil gegen Beate Zschäpe zugrunde gelegt hat, hat eine sich "Nationalsozialistischer Untergrund" nennende Gruppe von mindestens drei Rechtsradikalen zwischen 2005 und 2011 über Jahre unerkannt mordend durch Deutschland ziehen können.

Die Opfer der Morde, die der Gruppe zugerechnet werden, waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin. Kritiker der offiziellen Darstellung bezweifeln, dass eine solch kleine Gruppe eine derartige Anzahl von Morden ohne Unterstützer und Förderer in Reihen staatlicher Geheimdienste habe begehen können. Auch an der Urheberschaft der Rechtsradikalen an den Morden bestehen zum Teil Zweifel.

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rt de / dpa 

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