Deutschland

Deutsche Wirtschaft sieht Gefahr einer schleichenden Deindustrialisierung

Deutsche Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gehen mit Sorgen ins neue Jahr. Der Grund ist nicht nur die Lage an den Energiemärkten. Experten bemängeln auch zahlreiche bürokratische Hemmnisse, durch die der Standort Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Deutsche Wirtschaft sieht Gefahr einer schleichenden DeindustrialisierungQuelle: Legion-media.ru © Caro / Oberhaeuser

Die deutsche Wirtschaft sieht die zunehmende Gefahr einer schleichenden Deindustrialisierung in Deutschland – mit möglichen Folgen für viele Jobs. Die Nachrichtenagentur dpa hat mit Experten über die Aussichten des Standorts Deutschland gesprochen.

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, erklärte, dass die Bundesrepublik zahlreiche "Handicaps" habe und an Wettbewerbsfähigkeit verliere.

"Wir sind viel zu langsam, Stichwort Genehmigungspraxis. Die Unternehmenssteuern sind im internationalen Vergleich zu hoch."

Es brauche mehr steuerliche Anreize für Investitionen in Deutschland, forderte Russwurm. Die Energiepreise seien mit Steuern und Abgaben überfrachtet.

"Das können wir uns nicht mehr leisten im globalen Wettbewerb. Die aktuelle Krise ist nicht nur eine kleine Konjunkturdelle."

In der grünen und digitalen Transformation gebe es für die Bundesregierung immense Aufgaben zu erledigen. Der BDI-Präsident forderte die Umsetzung eines umfassenden Bürokratieentlastungsgesetzes.

Die Produktionsrückgänge in den energieintensiven Industrien in diesem Jahr seien ein Risiko für wichtige Wertschöpfungsketten, sagte Russwurm weiter. Durch den Krieg und die Lage an den Energiemärkten hätten sich die Standortbedingungen für diese Branchen dauerhaft verschlechtert.

"Wir haben viele Jahrzehnte gelernt, dass die Arbeitslosenquote ein guter Indikator ist, wie es unserer Wirtschaft geht. Und plötzlich gilt diese Regel nicht mehr, weil wir mehr als 400.000 Arbeitskräfte netto jedes Jahr verlieren."

Aus dem Fachkräftemangel sei ein Arbeitskräftemangel geworden, so Russwurm. Es sei eine gefährliche Fehleinschätzung, aus vielen offenen Stellen und hoher Beschäftigung den Schluss zu ziehen, dass es der Industrie und dem Land gut gehe. Positive Ergebnismeldungen der letzten Zeit dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Unternehmen ihre Gewinne vor allem in ihren Auslandsgesellschaften machten.

"Es ist heute schon so, dass international aktive deutsche Konzerne ihre neuen Produkte leider nicht in Deutschland entwickeln, sondern woanders, wegen strikter oder zu vieler Vorgaben hier."

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) Peter Adrian warnte ebenfalls vor einer zunehmenden Verlagerung von Produktion ins Ausland. Eine Abwanderung von Industrieproduktion ins Ausland sei ein schleichender Prozess. Die deutsche Wirtschaft werde einen Strukturwandel erfahren.

"In Amerika betragen die Strompreise ein Fünftel dessen, was wir jetzt hier in Deutschland aufbringen. Beim Gas ist es derzeit ein Siebtel."

Deutschland und die EU müssten bürokratische Hemmnisse beseitigen und Planungsverfahren beschleunigen, erklärte der DIHK-Präsident. In Deutschland machten Unternehmen häufig die Erfahrung, dass ihnen Steine in den Weg gelegt würden. Das sei für Deutschland ein großes Ansiedlungshemmnis.

Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Yasmin Fahimi kündigte an, dass die Gewerkschaften die Fragen, wie wettbewerbsfähige Industrie-Strompreise sichergestellt werden könnten, im nächsten Jahr ganz vorne auf die Tagesordnung in den Gesprächen mit der Bundesregierung setzen werden.

"Je tiefer die Schnitte in die Wertschöpfungskette werden, je mehr Unternehmen der Wertschöpfungskette Deutschland verlassen, desto dramatischer wird der Dominoeffekt sein."

Der Chef der Gewerkschaft IG BCE Michael Vassiliadis hatte eine rundum neu entwickelte Industriepolitik für Deutschland und Europa verlangt. Nur so ließen sich die nötigen Anreize für ökologisch tragfähige Investitionen sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen schaffen und weitere Abwanderungen etwa nach China oder in die USA verhindern.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte eine aktivere Industriepolitik Deutschlands und der EU angekündigt. Der Grünen-Politiker sagte Ende November auf einer Industriekonferenz, das nächste Jahr stehe im Zeichen der Industriepolitik. Ziel sei es, die Standortsicherheit auszubauen und den grundlegenden Wandel hin zu einer klimaneutralen und digitalen Wirtschaft voranzutreiben.

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(rt/dpa)

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