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"Der Geist ist das Schlachtfeld" – NATO bereitet sich auf "kognitive Kriege" mit Russland vor

Kognitive Kriegsführung erfreut sich bei westlichen Thinktanks zunehmender Beliebtheit. Ziel ist die Unterwerfung der Gesellschaften ohne militärische Mittel. Russische Experte sehen in dem Konzept die Basis für neue "smarte" Weltanschauungskriege.
"Der Geist ist das Schlachtfeld" – NATO bereitet sich auf "kognitive Kriege" mit Russland vorQuelle: AP © Risto Bozovic/Sakchai Lalit

Spätestens seit dem Jahr 2014 werfen westliche Thinktanks, Medien und Spitzenpolitiker Russland ein böswilliges Agieren im Cyber- und Informationskrieg vor. Dieser Sichtweise zufolge ist beispielsweise das Nachrichtenportal RT eines der wichtigsten "Waffen", die der Kreml angeblich gegen den Westen richtet.

Nun aber dürften die sogenannten Informationskriege der Vergangenheit angehören. Die Rede ist zunehmend von einer "kognitiven Kriegsführung" (cognitive warfare), mit der der vermeintliche Feind die "demokratischen" Gesellschaften überzieht.

"Heutzutage schließt die kognitive Kriegsführung Cyber-, Informations-, psychologische und Social-Engineering-Fähigkeiten ein, um ihre Ziele zu erreichen", schreibt ein Autorenteam bestehend aus Mitarbeitern der Johns-Hopkins-Universität und des Imperial College London in einer Analyse für die NATO.

Bei einem kognitiven Krieg handelt es sich um einen Kampf um den menschlichen Geist, der zu einem modernen Schlachtfeld wird. Und wie es in einem Krieg üblich ist, geht es bei den Kriegsparteien schlussendlich um den Sieg über den Gegner und dessen Unterwerfung:

"Ist die kognitive Kriegsführung erfolgreich, formt und beeinflusst sie die Überzeugungen und Verhaltensweisen des Einzelnen und der Gruppe, um die taktischen oder strategischen Ziele des Angreifers zu begünstigen. Es ist denkbar, dass ein Gegner eine Gesellschaft unterwirft, ohne auf offene Gewalt oder Zwang zurückzugreifen."

Kognitive Kriege können sowohl kurzfristiger als auch langfristiger Natur sein. Im letzteren Fall können sie strategisch auf Jahrzehnte ausgelegt werden: "Mehrere aufeinanderfolgende Kampagnen könnten mit dem langfristigen Ziel gestartet werden, ganze Gesellschaften oder Bündnisse zu stören, indem Zweifel an der Regierungsführung gesät, demokratische Prozesse untergraben, Unruhen ausgelöst oder separatistische Bewegungen angestiftet werden." Die Autoren betonen:

"In der kognitiven Kriegsführung ist derjenige im Vorteil, der sich zuerst bewegt und den Zeitpunkt, den Ort und die Mittel der Offensive auswählt."

Sie nennen den Gegner nicht beim Namen, lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass es in ihrem Papier vor allem um Russland geht. So bezeichnen sie das Stehlen "peinlicher" Regierungsdokumente aus dem E-Mail-Konto eines Regierungsvertreters als Beispiel für Methoden einer kognitiven Kriegsführung. Es ist unschwer darin den sogenannten DNC-Leak zu vermuten. Im Juli 2016 wurden Tausende Mails vom Server des Nationalen Komitee der Demokratischen Partei der USA auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht. Diese legten Wahlmanipulationen durch den Stab der damaligen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton offen. US-Medien und Demokraten witterten dahinter sofort eine große Verschwörung zwischen Trump, Putin und Wikileaks. Ein Vorwurf, der bis heute nicht bestätigt wurde.

Außerdem wurde die Bezeichnung "kognitive Kriegsführung" bereits zuvor mit Russland in Zusammenhang gebracht. So veröffentlichte die Harvard Kennedy School im November 2019 einen Artikel unter dem Titel "Kognitive Kriegsführung: Die Bedrohung der Wahlen in den baltischen Staaten durch Russland".

Den Autoren zufolge greift Russland mithilfe von Desinformation und Informationsoperationen bestehende innenpolitische, soziale oder ethnische Spaltungen auf und instrumentalisiert diese, um Denkweise und Wahlverhalten der Bürger zu verändern. Diese Strategie sei "kognitive Kriegsführung", da die Zielbevölkerung hierdurch in ihrem Denken massiv beeinflusst werde:

"Russland hat über traditionelle und soziale Medien Narrative verbreitet, die darauf abzielen, ethnische Russen und Russischsprachige vom Rest der Gesellschaft zu trennen, die innenpolitische Stabilität zu untergraben und die Bindung der baltischen Staaten an die EU und die NATO zu brechen."

Allerdings belegen durchgesickerte Dokumente der britischen Regierung, dass ausgerechnet London im Rahmen einer geheimen Propagandakampagne spätestens seit dem Jahr 2016 versucht, Russischsprachige in den drei Staaten des Baltikums ideologisch zu assimilieren, um Moskau zu schwächen. In das Programm flossen bereits Millionen britische Pfund.  

Im Jahr 2017 veröffentlichte der US-amerikanische Thinktank Rand Corporation ein Strategiepapier mit dem Titel "Weaponisation of Information" (dt. etwa: Information als Waffe). Dem Dokument zufolge geht von russischen Medien, Thinktanks, Stiftungen, Regierungs- und Nichtregierungsgremien, politischen Parteien, grenzüberschreitenden sozialen und religiösen Gruppen, Unternehmen sowie "von Russland beeinflussten Personen des öffentlichen Lebens" eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit aus. Um dieser zu begegnen, müsse eine alle Bereiche des öffentlichen und politischen Lebens umfassende landesweite Anstrengung ("Whole-of-Nation"-Ansatz) unternommen werden, die von einem speziellen Zentrum für kognitive Sicherheit gesteuert werden solle.

Dieses Konzept deutet bereits auf einen totalitären Charakter der ideologischen Auseinandersetzung hin, der von einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit zwischen Russland und dem Westen ausgeht. Die britische Denkfabrik Chatham House, das Königliche Institut für internationale Angelegenheiten, vollendete diesen Ansatz in einer am 13. Mai veröffentlichten Studie. Dieses Strategiepapier mit mehr als hundert Seiten hat ein internationales Forscherteam aus 16 Experten ausgearbeitet, mit dem Ziel, Entscheidungsträgern in der Politik aufzuzeigen, dass eine friedliche Koexistenz mit Russland derzeit unter keinen Umständen möglich sei. Eine kurze Zusammenfassung finden Sie unter diesem Link.

Für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland machen die Verfasser ausschließlich den Kreml verantwortlich. Um diese These zu untermauern, identifizieren die Autoren die Annäherungs- und Stabilisierungsversuche des Kremls wie etwa "Wir brauchen eine neue gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur, die Russland einschließt", "Russland und der Westen sind gleich 'schlecht'", "Die Völker Russlands, Weißrusslands und der Ukraine gehören zu einer Nation" sowie "Die Krim war schon immer russisch" als Mythen – und wollen diese "widerlegen".

Russlands vermeintlich störende Außenpolitik sei "keine Anomalie Putins und seiner Entourage", sondern beruhe auf grundsätzlichen Prinzipien der russischen Politik. Man dürfe daher feindliche Handlungen Russlands nicht kleinreden, sondern müsse diese systematisch aufdecken, zuordnen und diskreditieren:

"Die euro-atlantischen Entscheidungsträger mögen es nur ungern zugeben, aber Moskaus natürlicher Zustand ist der einer Konfrontation mit dem Westen."

Wie auch zu Zeiten des Kalten Krieges wird der Konfrontation eine entscheidende ideologische Komponente zugrunde gelegt. Der Schlüssel im Umgang mit diesen Konflikten und Widersprüchen sei die Erkenntnis, dass westliche und russische Werte und Interessen nicht miteinander vereinbar sind. Die Autoren fordern die Politik auf, für die Austragung der Konfrontation auch wirtschaftliche und sonstige Entbehrungen in Kauf zu nehmen, denn gemeinsame Interessen mit Russland, darunter auch im Bereich Energie- und Wirtschaft, seien eine Illusion:

"Akzeptieren Sie, dass ein schlechtes Verhältnis zu Russland keine Tragödie ist, wenn es derzeit keine Mittel gibt, es zu verbessern".

In Russland werden Ansätze dieser Art registriert und auf eine eigene Weise interpretiert. Wenn eine Koexistenz mit "diesem" Russland aus westlicher Sicht nicht möglich zu sein scheint, müsse Russland folglich mental verändert werden. Diesen Ansatz legte der Berater des russischen Verteidigungsministeriums Andrei Ilnizki in einem Interview mit der Zeitschrift "Arsenal des Vaterlandes" nahe.

Ilnizki zufolge vermeidet der kollektive Westen eine direkte militärische Konfrontation mit Russland, da Russland in der Lage sei, ihm mit seinen Atomwaffen und modernen Streitkräften einen unannehmbaren Schaden zuzufügen. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Konflikts sei für die nächsten zehn Jahre ausgeschlossen. Ilnizki erklärte:

"All dies führt zur Entstehung einer neuen Art von Kriegsführung. Wenn in klassischen Kriegen die Zerstörung des menschlichen Lebens des Feindes das Ziel ist, so ist dies in modernen Cyber-Kriegen die Zerstörung der Infrastruktur, die Zerstörung des Selbstbewusstseins, die Veränderung der mentalen, zivilisatorischen Basis der Gesellschaft des Feindes. Ich würde diese Art von Krieg einen mentalen Krieg nennen."

Als Beispiel für einen mentalen Krieg der Gegenwart werden in Russland oft die langfristigen Maßnahmen zur Vorbereitung des Ukraine-Konflikts genannt, die in einer "Umpolung der ukrainischen Gesellschaft durch westliche Regierungen und NGOs" resultierten. Die Folgen eines solchen Krieges sind laut Ilnizki im Unterschied zu Schäden an der Infrastruktur irreparabel, da sie erst nach einer Generation zutage treten, wenn es schon zu spät ist.

Ein weiterer russischer Analyst, das Präsidiumsmitglied im Rat für Sicherheit- und Verteidigung Alexander Losew, stellte im russischen Radio ebenfalls die Chatham House-Studie vor. Er wies auf den unversöhnlichen Charakter des Dokumentes hin und nannte es eine sanftere Version von "Mein Kampf". Das Papier habe einen "absolut russophoben, absolut antirussischen Charakter", erklärte Losew

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