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Trotz Kriegsrhetorik: Selenskijs Sitcom startet im Russischen Fernsehen

Der staatliche russische Sender "Rossija 1" kündigte für den 27. Dezember den Start der neuen Staffel einer vom Unternehmen des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij produzierten TV-Serie an. Angesichts der Kriegsrhetorik der ukrainischen Seite wirft dies Fragen sowohl in der ukrainischen als auch in der russischen Zivilgesellschaft auf.
Trotz Kriegsrhetorik: Selenskijs Sitcom startet im Russischen Fernsehen© Studio Kwartal 95/Leopolis, 2012, Marius Balchunas,

Die Ukraine wähnt sich seit 2014 im Krieg mit Russland. Ein objektiver Nachweis der Anwesenheit regulärer russischer Truppen in der Ukraine konnte bislang nicht vorgelegt werden: Trotz flächendeckender Satellitenüberwachung des Krisengebietes wurden bis heute keine Aufnahmen russischer Panzerkolonnen oder sonstigen russischen Militärs veröffentlicht. Und selbst beim Austausch von Kriegsgefangenen zwischen den Konfliktparteien wurden bislang fast ausschließlich ukrainische Staatsbürger gegen ukrainische Staatsbürger ausgetauscht. Russland selbst bestreitet die unmittelbare Beteiligung am Konflikt im Donbass, räumt aber ein, den abtrünnigen Volksrepubliken indirekte Hilfe zu leisten. 

Die Rhetorik der ukrainischen Politik und der ukrainischen Medien ist seit Jahren unverändert: Man führe einen russisch-ukrainischen Krieg. Präsident Wladimir Selenskij antwortete in einer Pressekonferenz am 26. November 2021 auf die Frage, ob ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine bevorstehe: 

"Wir befinden uns schon acht Jahre im Krieg mit Russland". 

Im Widerspruch dazu macht sein Unternehmensgeflecht weiterhin Geschäfte auf dem russischen Unterhaltungs- und Fernsehmarkt. 

Selenskijs intransparentes Firmengeflecht

Selenskij, Jahrgang 1978, dessen Karriere als Unterhalter und Komiker noch zu seinen Studentenzeiten begann, gründete 1998 eine Komiker-Truppe Namens "Kwartal 95" (zu Deutsch: "Wohnkomplex Nummer 95"), benannt nach einem Wohngebiet in seiner Heimatstadt Kriwoj Rog. Mit dieser beteiligte er sich an einem populären russischen TV-Wettbewerb, in dem studentische Mannschaften mit Witzen und Showeinlagen gegeneinander antreten und um die Gunst einer prominenten Jury buhlen. Drei Mal holte sein Team den zweiten Preis im Wettbewerb, für den ersten hat es nie gereicht.

Im Jahr 2003 wurde aus dem Hobby ein Geschäft und aus der studentischen Truppe eine Produktionsgesellschaft gleichen Namens. Das "Studio Kwartal 95" startete mit Comedy-Shows für den Fernsehsender des Oligarchen Igor Kolomoiskij und entwickelte bald eine quirlige Aktivität auf dem Unterhaltungs- und Fernsehmarkt. Das Studio produzierte Adaptionen westlicher TV-Formate, Konzerte, Kinofilme, Trickfilmreihen und Fernsehserien, die Millionenumsätze einspielten.

Da die gesamte Produktion ausschließlich auf Russisch erfolgte, weitete sich das Geschäft bald auf den wesentlich lukrativeren russischen Fernseh- und Kinomarkt aus. Die monatliche Kernsendung des Kollektivs, die ukrainische Realitäten aufs Korn nahm und ukrainische Politiker persiflierte, kam beim russischen Zuschauer nicht gut an, sehr wohl aber die Komödien und TV-Serien, die das schnell gewachsene Unternehmen wie am dem Fließband produzierte.

Geschmackssache: Eine der ungewöhnlichsten Showeinlagen Selenskijs

In den Filmen für die große Leinwand übernahm Selenskij gewöhnlich eine der Hauptrollen. Um das russische Publikum stärker anzusprechen, waren viele Rollen von russischen Prominenten (Komikern, Schauspielern, Fernsehstars) besetzt. Die TV-Serien des Unternehmens kamen dabei ohne ihn aus – bis zu derjenigen, in der er einen unkonventionellen ukrainischen Präsidenten aus dem Volk spielte, und die ihm wohl auch das Präsidentenamt im realen Leben bescherte. 

Immer komplizierter wurde mit der Zeit die Beteiligungsstruktur des Unternehmens. Um die einst gegründete GmbH ukrainischen Rechts wuchs ein schwer durchschaubares Geflecht von Firmen und juristischen Personen, darunter auch solchen in ausländischen Steuerparadiesen. Kenner der Branche haben keinen Zweifel, dass Selenskij direkt oder über Strohmänner in allen Gesellschaften die Mehrheit hält und auch der Großteil der Gewinne und Royalties sein Vermögen mehrt. 

Offengelegt hat der ukrainische Präsident für das Jahr 2020 Royalties in Höhe von 4,3 Millionen ukrainischer Hrywnja, was etwa 150.000 Euro entspricht. Nicht erst seit Veröffentlichung der sogenannten Pandora Papers steht der Verdacht im Raum, dass dies lange nicht alles ist, was das Kino- und TV-Geschäft dem vermeintlichen Saubermann einbringt.

Infolge der Enthüllungen war Selenskij Mitte Oktober schließlich gezwungen einzuräumen, dass er einen Teil seiner Geschäfte über ausländische Firmen in Steuerparadiesen laufen ließ. Anstößiges vermochte er an dieser Geschäftspraxis allerdings nicht zu erkennen. Noch vor seiner Wahl zum Präsidenten, beteuerte er, habe er seine Anteile daran aufgegeben. Das Konsortium investigativer Journalisten ICIJ, das auch die Pandora Papers veröffentlicht hat, behauptet seinerseits, dass der ukrainische Präsident seine Anteile an den in den Pandora Papers aufgeführten Gesellschaften an einen persönlichen Freund, Sergej Schefir, abgetreten hat, dem er zu allem Überfluss im Mai 2019 auch noch einen gehobenen Posten im Präsidialamt verschaffte. 

Das Geschäft in Russland wickelte Selenskij über vier Firmen mit Sitz in Russland ab. Eine davon hat er nach seiner Wahl zum Präsidenten öffentlichkeitswirksam abgewickelt, nicht aber die anderen drei. Ermittlungen der Moskauer Zeitung MK ergaben, dass allein eines dieser drei Unternehmen, "Green Films", im Jahr 2017 180 Millionen Rubel (mehr als 2 Millionen Euro) Gewinn eingebracht hatte.

Ausstrahlung der neuen Staffel erregt Unmut auf beiden Seiten 

Ausgerechnet jetzt, wo die Ukraine von ihren "westlichen Partnern" neue Sanktionen gegen Russland fordert, startet auf einem russischen Fernsehsender, der direkt vom Staat kontrolliert wird, die siebente Staffel einer TV-Serie aus dem Haus "Studio Kwartal 95". Am Montag kündigte der Sender Rossija 1 den Beginn der Ausstrahlung für den 27. Dezember 2021 an. 

Die Serie mit dem Namen "Swaty", was sich mit "Verschwägert" oder "Die Verschwägerten" übersetzten lässt, baut ihre Situationskomik auf den kulturellen Konflikten zweier Schwiegerelternpaare auf: Das eine vom Dorf, mit traditionellen Ansichten, ungehobelt und laut; das andere ein Akademikerpaar aus der Großstadt, überheblich und immer auf dem aktuellsten Stand der wechselnden Moden. Zumeist ungewollt, bringt der Zufall sie stets zur gleichen Zeit im Haus ihrer miteinander verheirateten Kinder zusammen.

Obwohl erkennbar in Kiew gedreht, spiegelt die ausschließlich in russischer Sprache gefilmte Serie die Lebenswirklichkeit beider Völker wider und gelangte daher auch in Russland zu Popularität. In der Ukraine war sie unter Präsident Poroschenko eine Zeit lang verboten, Selenskij hob das Verbot nach seiner Amtsübernahme auf. 

Derartiger kultureller Austausch wäre zu jeder anderen Zeit zu begrüßen und auch das damit verbundene Geschäft nicht anstößig – wenn es nicht im Widerspruch zur Kriegsrhetorik der ukrainischen Seite und auch von Präsident Selenskij persönlich stehen würde. In der ukrainischen Gesellschaft, die zu einem erheblichen Teil die Kriegsnarrative verinnerlicht hat, stoßen die Geschäfte ihrer Elite mit dem Nachbarland zunehmend auf Unverständnis und Kritik. 

Selenskij verteidigt sich gegen diese Kritik mit dem Hinweis darauf, dass die Rechte an der TV-Serie an ein schwedisches Unternehmen verkauft seien und weder er, noch die Geschäftsleitung des ukrainischen Produzenten Einfluss auf den weiteren Vertrieb hätten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das schwedische Unternehmen nicht ausschließlich zur Umgehung der von der Ukraine selbst ausgerufenen Sanktionen gegen Russland zwischengeschaltet wurde: Die Rechte auf dem ukrainischen Markt hält das "Studio Kwartal 95" nach wie vor selbst. 

Unmut gibt es aber nicht nur bei den Patrioten der Ukraine: In Russland kritisieren Teile der Zivilgesellschaft die Fernsehsender für die Ausstrahlung dieser und anderer Serien sowie die Wiederholung von Filmen, in denen Selenskij spielt, scharf. Diese Kritik setzte ein, als der Showman im August 2014 eine Konzertreihe für die im Donbass eingesetzten Armeeverbände und als nationalistisch geltende Freiwilligenverbände gab. Dabei verbeugte er sich vor den ukrainischen Kombattanten und bezeichnete die Einwohner des Donbass als "Dreck". Als das bekannt wurde, wurde in Russland zum Boykott der Produktionen von Selenskijs Firmenimperium aufgerufen.

Nach der Einführung des Showmans und Schauspielers in das Amt des ukrainischen Präsidenten im Jahr 2019 gaben die russischen Fernsehsender den Boykott auf, wohl als Vorleistung für eine Entspannung zwischen beiden Ländern, die jedoch nie eintrat. 

Empört sind die patriotischen Kreise in Russland auch darüber, dass ein alter sowjetischer Filmstar georgischer Abstammung, der sich in letzter Zeit mit russlandfeindlichen Äußerungen hervorgetan hat, in einer der Folgen der neuen Staffel einen Gastauftritt hat. 

Handelsvolumen rückläufig, Beziehungen zerrissen 

Zwischen 2013 und 2019 ging das Volumen des Handels zwischen Russland und der Ukraine von fast 40 Milliarden Dollar auf rund 10 Milliarden Dollar zurück, wobei darin die Umgehung über Weißrussland nicht berücksichtigt ist. Die Beziehungen sind von einem permanenten Handelsbilanzdefizit zu Lasten der Ukraine geprägt. Die Ukraine ist nach wie vor insbesondere auf Lieferungen von Öl, Gas, Kohle und spaltbarem Material für Kernkraftwerke aus Russland angewiesen.

Die ukrainische Seite hat seit 2014 die meisten kulturellen und gesellschaftlichen Verbindungen mit Russland konsequent gekappt. Als erstes wurden sofort nach dem Sieg des Maidan im Februar 2014 alle russischen Fernsehsender aus den ukrainischen Kabelnetzen verbannt, im Januar 2017 wurde als letzter der oppositionelle Fernsehsender Doschd trotz der dort vorherrschenden proukrainischen Narrative verboten. Direkte Flugverbindungen zwischen beiden Ländern wurden noch von der ersten Postmaidan-Regierung des Ministerpräsidenten Jazenjuk eingestellt. Es folgten die Blockierung von russischen sozialen Netzwerken und vieler Internet-Angebote, das Verbot des Imports von Büchern und Presseerzeugnissen, sowie der Vorführung sowjetischer und russischer Filme. Selenskij hatte in seinem Wahlkampf den Eindruck erweckt, diese Verbote und Beschränkungen für falsch zu halten und aufheben zu wollen. Geschehen ist dies nicht. 

Verbot Selenskij dem Parodisten Galkin die Einreise wegen dieser Parodie?

Zahlreichen Journalisten, Sängern, Schauspielern und Schriftstellern, selbst solchen, die aus der Ukraine abstammen, ist die Einreise in die Ukraine seit Jahren verboten. Selenskij, der sich 2017 über das Einreiseverbot für einen der Stars der TV-Serie "Swaty" empörte, hat seit seinem Amtsantritt weitere Einreiseverbote ausgesprochen – zum Beispiel gegen den Popsänger bulgarischer Abstammung Filipp Kirkorow, mit dem er früher befreundet war, oder gegen Maxim Galkin, einen populären Showman, TV-Moderator und Ehemann der Grande Dame des russischen Pop, Alla Pugatschowa. 

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