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Wie sicher sitzt der vom Westen unterstützte Präsident der Ukraine im Sattel?

In der Ukraine braut sich ein Komplott zusammen. Während die Medien über Verschwörungen zum Sturz von Wladimir Selenskij spekulieren, wird dieser nicht bereit sein, seine Macht einfach so abzugeben. Hinter diesen potenziellen Machenschaften sollen Neid und Missgunst stecken.
Wie sicher sitzt der vom Westen unterstützte Präsident der Ukraine im Sattel?© Ewgenij Maloletka

Eine Analyse von Alexander Nepogodin

Während die Kämpfe im Osten der Ukraine weitergehen, scheint Präsident Wladimir Selenskij entschlossen, seine Macht zu festigen. Dies als Teil eines Prozesses, der lange vor der russischen Militäroffensive in Gang gesetzt wurde.

Das vom Westen unterstützte Staatsoberhaupt hat seine Kritiker zum Schweigen gebracht und ist hart gegen die politische Opposition im Lande vorgegangen. Darüber hinaus säuberte er die politische Arena von angeblich "illoyalen" Zeitgenossen, die bis vor Kurzem noch als enge Verbündete und Weggefährten galten. Zum Beispiel wurden vor nicht allzu langer Zeit die Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa und der Leiter des ukrainischen Sicherheitsdienstes Ivan Bakanow, ein Jugendfreund von Selenskij, beide von ihren Posten entlassen. Trotzdem scheint es, dass der Präsident weiterhin sehr anfällig für politische Intrigen aus den Reihen der Eliten des Landes ist.

Angesichts der jüngsten Entwicklungen behaupten sowohl westliche als auch ukrainische Medien, dass die Militärführung in Kiew mit der aktuellen Lage im Land unzufrieden sei. Medien haben sogar einen möglichen Nachfolger des "ukrainischen Churchills" benannt, wie Selenskij manchmal genannt wird – namentlich den Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte Generalmajor Waleri Saluschny. Selenskij selbst wies diese Behauptungen als Spekulationen zurück und bezeichnete sie als einen Versuch, feindseligen Narrativen Auftrieb zu geben, um damit "das Boot ins Wanken zu bringen".

RT untersucht im folgenden Text die Gründe für die eskalierenden Spannungen zwischen Selenskij und Saluschny und erklärt, warum die Ukraine auf eine Diktatur abzudriften scheint.

Ein nicht militärischer Konflikt

In den Medien kursiert das Gerücht, Selenskij sei bereit, Saluschny abzusetzen. Das Nachrichtenportal Telegraf spekulierte, dass er wahrscheinlich durch Alexander Syrsky, den Kommandanten der Bodentruppen, ersetzt wird, während Saluschny, dessen Popularität bei der ukrainischen Bevölkerung stetig zunimmt, wahrscheinlich zum Verteidigungsminister ernannt werden solle.

Formal wäre das eine Beförderung des amtierenden Oberbefehlshabers der Streitkräfte. In Wirklichkeit aber bedeutet es einen Verlust von Kontrolle und Einfluss über die Armee, denn nach der ukrainischen Verfassung muss der Verteidigungsminister ein Zivilist sein.

Ein weiteres mögliches, weit verbreitetes Szenario ist, dass der derzeitige Verteidigungsminister Alexei Resnikow die Regierung leiten werde, während Saluschny die Verteidigung übernimmt und der derzeitige Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kirill Budanow, Saluschny als Oberbefehlshaber ersetzen werde. Der Telegraf kam zur Auffassung, dass die Motive hinter diesen potenziellen Machenschaften Neid und Missgunst sind.

 "Es geht nicht um Zustimmungswerte, Selenskij und Saluschny pflegen sehr gute Beziehungen untereinander. Aber man muss verstehen, das ein militärischer Sieg nur von einem Mann erkämpft werden kann", sagte ein ukrainischer Abgeordneter dem Nachrichtenportal. Berichten zufolge begrüßt Saluschny solche Änderungen nicht, aber trotzdem könnten bereits in diesem Monat Rotationen in der Militärführung des Landes stattfinden.

Ein Konflikt zwischen dem ukrainischen Präsidenten und seinen Militärkommandeuren ist auch in Russland zum Gesprächsthema geworden. Als Reaktion auf Projektionen in mehreren westlichen Medien über Szenarien zur Konfliktlösung, teilte der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, seine eigene Sicht der Situation. Er glaubt, dass es nur ein "eineinhalb Szenario" geben wird – "ein Militärputsch in der Ukraine, gefolgt von der Anerkennung der Ergebnisse der russischen militärischen Spezialoperation".

Auch der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko hat sich kürzlich dem Chor jener Stimmen angeschlossen, die über einen möglichen Konflikt zwischen Selenskij und den obersten Militärkommandeuren der Ukraine, unter der Führung von Saluschny diskutieren. "Die Ukraine wird zerstückelt und es bahnt sich ein Konflikt zwischen dem Präsidenten und dem Militär an. Letztere sind die Einzigen, die mit der Faust auf den Tisch schlagen und sagen können: 'Lasst uns eine Einigung erzielen, sonst wird die Ukraine von der Landkarte verschwinden.' Die Situation ist eng, der ukrainische Präsident hat kein Gewicht mehr. In der Ukraine hängt jetzt nichts mehr vom Präsidenten ab, sondern vom Militär", sagte Lukaschenko.

Innerstaatliche Mauschelei

Sowohl Selenskij als auch Saluschny bestreiten die Existenz eines Konflikts zwischen ihnen. Die ukrainische Regierung behauptet, dass diese Gerüchte nichts weiter als feindselige Propaganda seien, die absichtlich verbreitet werden, um innerhalb der obersten Militärführung des Landes Dissens zu säen. Selenskij selbst hat öffentlich erklärt, dass Saluschny und das Team ihre Arbeit gut machen. "Nein, ich habe nicht vor, ihn auf eine andere Position zu versetzen. Wir haben ein Team. Macht das Team seine Arbeit gut? Wie Sie sehen können, leisten wir immer noch starken militärischen Widerstand. Also, ja, sie machen einen guten Job. Und wenn wir siegen, werde ich der Erste sein, der sie loben wird", beteuerte Selenskij nach einer Anfrage der Medien.

Die Presse interpretierte diese Äußerungen auf ihre Weise: Schnell verbreiteten sich Gerüchte, Selenskij habe sich geweigert, Saluschny zu ersetzen, weil er einen Schlag gegen seinen eigenen Ruf befürchtete. Viele glauben, dass das Büro des ukrainischen Präsidenten das Narrativ unterdrücken will, dass Saluschny ein legitimer Gegner von Selenskij und ein "unbequemer" Verbündeter sei. Im Wesentlichen will Selenskij eine Situation schaffen, in dem sein Top-Militär von der politischen Bühne entfernt werden kann. Es ist viel schwieriger, Saluschny zu feuern, wenn sein Name überall in den Medien und im Internet präsent ist. Ironischerweise könnten es die sozialen Medien sein, die Saluschny gegen eine mögliche Absetzung "absichern".

Seltsamerweise werden Spekulationen über den Konflikt zwischen Selenskij und Saluschny nicht externen, sondern einheimischen Kräften angelastet. Bereits Anfang August deckte der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) eine heimliche "Bot-Farm" auf, die in die Inlandspropaganda verwickelt war und die von den Medien mit Akteuren aus dem Umfeld des ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko in Verbindung gebracht wurden. Eine ihrer Medienkampagnen soll darauf abgezielt haben, "Informationen über einen Konflikt zwischen der Führung des Amtes des Präsidenten der Ukraine und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine zu verbreiten". Es wurde behauptet, dass es auch eine Kampagne gab, um die First Lady der Ukraine zu diskreditieren.

Angesichts dieser Ergebnisse beschuldigte ein Berater von Selenskij, Alexei Arestowitsch, die Opposition und insbesondere die von Poroschenko geführte Europäische Solidaritätspartei, ihre eigenen politischen Ambitionen zu verfolgen, mit der sie "die Ukraine erneut in eine politische Krise ziehen werden, die zu einer militärischen Niederlage führen wird." Laut Arestowitsch verlangsamten die von den "Bot-Farmern" betriebenen Medienoperationen die Waffenlieferungen in die Ukraine und förderten das Narrativ eines sich anbahnenden Konflikts zwischen Selenskij und Saluschny. 

"Den Leuten in der Opposition ist nicht klar, dass diese Art von Subversion die Ukraine mehr kosten könnte, als die direkten Angriffe russischer Truppen. Ein Mangel an Einheit zwischen Regierung und Armee, zwischen Regierung und Volk, ist der sichere Weg in die militärische Niederlage und den Verlust der Staatlichkeit. Dies ist eine rein Innerstaatliche Mauschelei, die seit etwa April in den Medien betrieben wird. Die russische Propaganda hat diese aufgegriffen und sie zu ihrem Vorteil ausgenutzt. Sie profitieren davon, wenn dieses Narrativ vorangetrieben wird", sagte er.

Ein neuer Held am Horizont

Wie dem auch sei, während die offenen Feindseligkeiten in der Ukraine andauern, erfreut sich Generalmajor Waleri Saluschny stetig wachsender Beliebtheit, und das nicht nur unter der ukrainischen Bevölkerung. Kürzlich wurden in westlichen Medien große Geschichten veröffentlicht, in denen der Mann verherrlicht wurde und ihn "den eisernen General" nannten. Dieselben Medien sagten auch voraus, dass er nach dem Abgang von Selenskij das Amt des Präsidenten übernehmen könnte. Das deutsche Boulevardblatt Bild beispielsweise veröffentlichte einen Artikel, in dem es hieß, "der General gibt der Ukraine Hoffnung" und sei nicht nur für die Soldaten, sondern auch für einen Großteil der Bevölkerung ein Held.

"Beobachter gehen davon aus, dass der gefeierte General nach Kriegsende den derzeitigen Präsidenten Wladimir Selenskij ersetzen wird", schrieb Bild. Die Zeitung wies auch auf mögliche Spannungen zwischen dem Präsidenten und dem General hin und stellte fest, dass "der amtierende Präsident nicht besonders glücklich über die Spekulationen ist, dass er eines Tages die Residenz des Präsidenten verlassen müsste".

Bild ist nicht das einzige westliche Medium, das voll des Lobes für Saluschny ist. Zuvor hatte die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza einen ausführlichen Artikel über den General veröffentlicht und ihn als "den ersten Ataman (Häuptling) der Ukraine" bezeichnet.

Im Wesentlichen verlieh ihm die Zeitung den Titel, den einst Symon Petljura trug, das Oberhaupt des Direktorats der Ukrainischen Volksrepublik in den Jahren 1919 bis 1920 und Verbündeter der Polen. "Wenn Michelangelo, auf der Grundlage der Veröffentlichungen über ihn im Internet, eine Figur von Generalmajor Waleri Saluschny schnitzen müsste, wäre das Ergebnis eine Mischung aus David und Moses", schrieb die Zeitung und stellte fest, dass gewöhnliche Ukrainer den General als eine hoch angesehene Figur betrachten.

Während die westlichen Medien Saluschny verherrlichten, begannen sie gleichzeitig, Selenskij an den Pranger zu stellen. Es wurden eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, in denen der Präsident niedergemacht wurde. Die deutsche Zeitung Die Welt, die New York Times und Sky News Australia beschuldigten den ukrainischen Präsidenten, auf internationaler Ebene nicht kooperativ zu sein, die Korruption innerhalb der Ukraine nicht zu bekämpfen, die Streitkräfte des Landes zu erschöpfen und eine "drakonische" Mobilisierung angeordnet zu haben.

Inmitten all dem, begann sich Saluschny immer mehr mit seinem eigenen politischen Image zu beschäftigen. Als die Bild einen schmeichelhaften Artikel über den Generalmajor veröffentlichte, veröffentlichte dieser zur Feier des Unabhängigkeitstages der Ukraine eine lange Videobotschaft, die sich an seine Landsleute richtetet – zum selben Zeitpunkt an dem Selenskij seine eigene Ansprache an die Nation veröffentlichte.

Das Video beinhaltete Zitate von Saluschny, die mit Worten von ukrainischen Soldaten ergänzt wurden. "Woher wissen wir, dass wir wirklich unabhängig sind?", fragte Saluschny rhetorisch. "Unsere Unabhängigkeit wurde uns geschenkt. Echte Unabhängigkeit verdient man sich mit Blut", antwortet ein Soldat im Video. "Wer dafür kämpft, weiß, wie es riecht. Es riecht nach Erde, nach Blut und Tod, der die Luft durchdringt", ergänzte Saluschny. Die Soldaten im Video sprechen über die Bedeutung der Einheit um des Sieges willen, sie sprechen über Stärke, Widerstandsfähigkeit und über ihre Bereitschaft, ihre Heimat zu verteidigen.

Eine weitere große Säuberung?

Während sich Gerüchte über die Absetzung von Saluschny verbreiteten, wurden die ukrainischen Medien mit Berichten über eine bevorstehende Umbildung in der Regierung überschwemmt. Hochrangige Quellen des populären Nachrichtenportals Strana.ua – das inzwischen von Selenskij verboten wurde – behaupteten, dass, obwohl das Büro des Präsidenten der Ukraine die Liste der neuen Ernennungen noch nicht fertiggestellt hatte, einige hochkarätige Rücktritte zu erwarten seien: Es bestehe eine starke Möglichkeit, dass einige Minister entlassen werden und sogar die Regierung von Premierminister Denis Schmygal aufgelöst wird.

Bereits Ende Juli gab der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Alexej Danilow, bekannt, dass die Entlassung von Wenediktowa und Bakanow erst der Anfang sei. "Ich habe einige Namen gehört, aber ich arbeite lieber mit echten Fakten. Höchstwahrscheinlich waren dies nicht die einzigen Personen, die entfernt wurden und wir werden bald weitere Entwicklungen sehen", kommentierte Danilow.

Die Absetzung von Bakanow und Wenediktowa waren die prominentesten Entlassungen seit Beginn der russischen Militäroperation. Selenskij sagte, seine Entscheidung sei durch die große Zahl von Verrätern innerhalb der SBU und der Generalstaatsanwaltschaft motiviert gewesen. Nach Angaben des Präsidenten, blieben mehr als sechzig Agenten des SBU in den von russischen Truppen besetzten Gebieten und begannen, gegen die Interessen der Ukraine zu arbeiten. Insgesamt untersuchen die Strafverfolgungsbehörden Hunderte von Fällen von mutmaßlichem Verrat und Kollaboration.

Eine der intensivsten Ermittlungen richtete sich gegen den ehemaligen Leiter des Büros der SBU für die Krim mit Sitz in Cherson, über das die Ukraine im vergangenen März die Kontrolle verloren hat. Der Sprecher der lokalen Regierung, Aleksandr Samoilenko, beschuldigte die Abteilung des Hochverrats und sagte, seine Offiziere hätten die Ukraine verraten. Ähnliche Anklagepunkte wurden gegen den ehemaligen Chef der inneren Sicherheit des SBU, General Andrei Naumow, erhoben, der aus der Ukraine geflohen war, aber im Juni in Serbien festgenommen wurde.

Bakanow und Selenskij waren Partner in einer Firma für Fernsehproduktionen, Kvartal 95. Später leitete er den Wahlstab von Selenskij und war Vorsitzender seiner Partei Diener des Volkes. Wenediktowa war lange vor seiner Präsidentschaft eine Verbündete von Selenskij gewesen und leitete auch das staatliche Ermittlungsbüro der Ukraine. Es scheint jedoch, dass selbst enge persönliche Verbindungen zum Präsidenten den beiden nicht helfen konnten, eine Absetzung zu vermeiden.

Gleichzeitig leitete der SBU eine strafrechtliche Untersuchung gegen den ehemaligen stellvertretenden Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine (NSDC), Generalmajor Sergei Kriwonos, ein, der kürzlich von Selenskij wegen seiner Äußerungen zur militärischen Führung kritisiert worden war. Kriwonos ist vor allem in der Ukraine eine ziemlich populäre Figur. Bereits 2019 hatte er sich als Präsidentschaftskandidat beworben, zog sich aber später zugunsten von Poroschenko zurück.

Kriwonos glaubt, dass die Verfolgung gegen ihn durch Selenskij aufgrund der Popularität des Generalmajors, insbesondere beim Militär, angeordnet wurde. "Die oberste Führung des SBU war offen zu mir, als sie mir sagte: Der Oberbefehlshaber Wladimir Selenskij hat einen rechtswidrigen Befehl erlassen, meine Einberufung zum Militär zu widerrufen, um Waleri Saluschny daran zu hindern, mich in höhere Positionen zu berufen. Selenskij sieht mich als Rivalen. Vor dem Krieg wurde ich wegen meiner Kritik an der Untätigkeit von Selenskij im Verteidigungsbereich und dem Versagen des Präsidialamts und des Verteidigungsministeriums, die Ukraine auf eine russische Aggression vorzubereiten, aus der Armee entlassen", behauptete Kriwonos.

Kriwonos sagte weiter, dass Selenskij ihn in den frühen Tagen der russischen Militäroperation mündlich angewiesen habe, den Flughafen Schuljany bei Kiew zu verteidigen, und dann einen persönlichen Befehl erlassen, der die Befugnis von Kriwonos dazu bestätige. Doch Ende März stellte sich heraus, dass der Befehl zur Einberufung von Kriwonos widerrufen worden war. "Ich habe von der Armeeführung erfahren, dass dies im Auftrag von Oberbefehlshaber Selenskij geschehen sein soll. Meine Quellen sagten mir deutlich, dass die Leute an der Spitze glauben, dass der Sieg nahe ist und dass es nach dem Krieg nur einen Kriegshelden geben sollte – den Obersten Befehlshaber selbst", sagte Kriwonos, "Selenskij glaubt, dass ich ihm im Weg stehen werde."

Der Weg zum Autoritarismus

Bislang ist die Popularität von Selenskij, der sein Image als "ukrainischer Churchill" fest etabliert hat, jedoch weiterhin hoch: Mehr als 90 Prozent der Ukrainer vertrauen ihm. Zudem ist die Bevölkerung des Landes nicht gegen die Zunahme autoritärer Tendenzen. Laut einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) glauben 58 Prozent der Ukrainer, dass es für das Land wichtiger ist, einen starken Führer zu haben als Demokratie. Nur 14 Prozent der Befragten halten die Demokratie für wichtiger. Gleichzeitig sagen 62 Prozent der Befragten, dass in der aktuellen Situation nicht einmal konstruktive Kritik an der ukrainischen Regierung erlaubt sein sollte und alle Parteien und politischen Kräfte sich vereinen sollten, um Selenskij zu unterstützen.

All dies bietet Selenskij große Möglichkeiten zur Machtkonsolidierung – ein Trend, der lange vor Ausbruch der militärischen Feindseligkeiten begann. Der Prozess des Anziehens der Daumenschrauben begann bereits im Jahr 2020, als Druck auf politische Gegner ausgeübt und mit Verboten von Medien außerhalb der Kontrolle der Regierung fortgesetzt wurde, einschließlich von pro-russischen Medien. Begleitet wurde dies von einer Kampagne gegen die Eliten der Schattenwirtschaft und die Banden des organisierten Verbrechens sowie gegen verschiedene Gruppen von Schmugglern. Dann begann Selenskij potenzielle interne Herausforderer aus dem Weg zu räumen. Dies zeigte sich beispielsweise im Rücktritt des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow im Herbst 2021.

Parallel dazu hatten alle wichtigen Gegner von Selenskij in der Regierung Probleme mit den Strafverfolgungsbehörden. Dazu gehören Julia Timoschenko, Petro Poroschenko, Vitali Klitschko, Wiktor Medwedtschuk und Anatoly Schariy. Im Oktober 2021 wurde Dmitri Rasumkow von seinem Posten als Sprecher des ukrainischen Parlaments entfernt. Dahinter standen von Anfang an strategische Motive, nämlich Konkurrenten beim Wahlkampf von Selenskij für die zweite Amtszeit auszuschalten. Rasumkow hätte ein potenzieller "neuer Selenskij" werden oder zumindest das aktuelle Team bei den kommenden Präsidentschaftswahlen spalten können. Es war Rasumkow, der lange an zweiter Stelle innerhalb der Partei gestanden hatte, gemessen an den Zustimmungswerten und seiner Position im politischen System.

Auch persönliche Beziehungen spielen in dieser Situation eine Rolle. Im Jahr vor seiner Entlassung verzichtete Rasumkow darauf, die Entscheidungen des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, dem Beratungsgremium des Präsidenten, zu unterstützen und brachte stattdessen seine eigenen Initiativen zu Schlüsselfragen heraus: Initiativen zum Verfassungsgericht der Ukraine, zu Landreformen, Initiativen gegen die illegale Bereicherung und dem Kampf gegen die Oligarchen. Mit anderen Worten, Rasumkow hatte seine eigenen Positionen und Vorschläge. Das waren oft diejenigen, die im Parlament behandelt wurden und die Selenskij nicht akzeptieren wollte. All dies zerstörte schließlich ihre Beziehung.

Die Kampagne gegen die Opposition hat zu erheblichen Veränderungen in den politischen Prozessen der Ukraine geführt, wobei sich das Machtzentrum in Richtung der Exekutive und sogar der Strafverfolgungsbehörden verlagert hat. Insbesondere sind die meisten Entscheidungsbefugnisse auf ein bestimmtes Gremium – den NSDC – übergegangen, dessen Zusammensetzung Selenskij persönlich bestimmt und dessen Entscheidungen durch seine Dekrete umgesetzt werden. Und dank des "Gesetzes über Sanktionen", das es erlaubt, jedem Ukrainer, der als Bedrohung für die "nationale Sicherheit" angesehen wird, wirtschaftliche Beschränkungen aufzuerlegen, sind die Befugnisse der NSDC nahezu grenzenlos geworden. Alle Konten und Vermögenswerte einer Person, die unter solche Sanktionen fällt, werden gesperrt und es wird ihr verunmöglicht, finanzielle Aktivitäten durchzuführen.

Nimmt man noch den "Gesetzesentwurf über die Medien" hinzu, wonach auch nicht registrierte Medien, die anstößige Informationen verbreiten, einer Sperrung unterliegen, ergibt sich ein merkwürdiges Bild. Selenskij zentralisiert rigide und kompromisslos seine Macht und seine Entscheidungen umgehen das bestehende – wenn auch nicht ideale, aber funktionierende – Rechtssystem. Und in diesem Sinne, ist die Antwort auf die Frage, welche Veränderungen in den Führungsetagen der Ukraine während der Militäroperation Russlands eintreten könnten, unzweideutig. Alles ist möglich.

Schließlich glaubt der ukrainische Präsident, wie die Geschichte von der Beziehungen von Selenskij zu seinem engsten Zirkel zeigt, dass er die alleinige Macht im Land ist – er ist das Team, die anderen sind nur seine Zuträger. All dies führte bereits 2021 zu einer innenpolitischen Krise. Die Tatsache, dass die gemeinsamen Flitterwochen des Westens mit Selenskij fast vorbei zu sein scheinen, erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich in einem entscheidenden Moment, für die Ukraine als unabhängiges Land, eine Krise großen Ausmaßes am Horizont abzeichnet. Die Kritik an Selenskij wird in letzter Zeit immer lauter und die Suche nach neuen Helden wird intensiver. Ein weiterer Machtkampf steht in der Ukraine wahrscheinlich bevor.

Aus dem Englischen

Alexander Nepogodin ist ein in Odessa geborener politischer Journalist und Experte für Russland und die ehemalige Sowjetunion.

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