Meinung

Washingtons Boykott der Olympischen Spiele in Peking wird nicht unbeantwortet bleiben

Amerikas diplomatischer Boykott der olympischen Spiele in Peking, obwohl praktisch ein nahezu sinnloser Protest, wird China nur dazu anspornen, die Olympischen Winterspiele 2022 zu einem noch größeren Erfolg zu machen.
Washingtons Boykott der Olympischen Spiele in Peking wird nicht unbeantwortet bleibenQuelle: www.globallookpress.com

Ein Kommentar von Tom Fowdy

Zur Überraschung der wenigsten kündigten die USA am Montagabend einen "diplomatischen Boykott" der bevorstehenden Olympischen Winterspiele 2022 in Peking an. Dies bedeutet, dass US-Athleten und Sponsoren zwar weiterhin an den Wettkämpfen teilnehmen können, die USA jedoch keine offiziellen Vertreter zu der Veranstaltung entsenden werden, um gegen das Stellung zu beziehen, was das Weiße Haus als "Chinas anhaltenden Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezeichnet. Es wäre ebenso wenig überraschend, wenn sich die mit den USA verbündeten Länder, insbesondere die in der "Anglosphäre", zu demselben Schritt entschließen würden – bei Australien wahrscheinlich eine in Stein gemeißelte Sache. Wie ich vergangene Woche schrieb, orchestrierten die USA eine Kampagne zur Veröffentlichung von Dokumenten, die in Zusammenhang mit der chinesischen Provinz Xinjiang stehen, und dies zeitlich so koordiniert, dass damit eine Zustimmung für einen Boykott herbeigeführt und ein negativer Schatten auf das olympische Ereignis geworfen werden kann.

Nun könnte man fragen: Spielt das denn wirklich eine Rolle? Das Ganze ist eine halbgare Anstrengung seitens der USA, und in Wirklichkeit bloßes Geschwätz. China hat gelobt, nicht näher bezeichnete "Gegenmaßnahmen" zu ergreifen – aber selbst das könnte man Peking als Überreaktion vorwerfen. Warum sollte es Peking überhaupt interessieren, ob Joe Biden seine Frau schickt, oder nicht? Wenn überhaupt, zeigt dieser Schritt, dass die USA, und wer auch immer sich ihnen anschließt, nicht wirklich "Position beziehen". Weil sie nicht bereit sind, ihren Worten handfeste Taten folgen zu lassen und ernsthafte Opfer für etwas aufzubringen, von dem sie der Welt erzählen, es sei so entsetzlich und moralisch inakzeptabel. Ein Völkermord sei im Gange, sagen sie uns, aber anscheinend ist der nicht schlimm genug, um Athleten von der Teilnahme an den Wettkämpfen abzuziehen bzw. Sponsoren zu einer Kehrtwende zu zwingen, oder?

Dies zeigt nur die Unaufrichtigkeit der Initiative und entblößt die Tatsache, dass sie überhaupt nicht auf moralischen Bedenken beruht, sondern nur auf Opportunismus, in dem Eifer gegen Peking zu punkten. Mehr als 6.500 Menschen sollen in Katar während der Vorbereitungen auf die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr unter Zwangsarbeitsbedingungen gestorben sein. Wo ist da der internationale Aufschrei? Wo fordern dieselben Politiker einen Boykott? Das Schweigen im Walde sagt alles, was man darüber wissen muss.

Aber letztendlich ist es nicht so sehr diese Heuchelei, die Peking nervt. Sondern die Tatsache, dass der Versuch China zu boykottieren – selbst wenn er nur symbolisch ist – repräsentativ dafür steht, dass die USA China im internationalen Status nicht als "gleichberechtigt" betrachten, und dementsprechend die Ansicht vertreten, dass Chinas System, seine Entwicklung und seine Errungenschaften von der "Zustimmung" der USA abhängig sind.

Doch warum ist dieser "diplomatische Boykott" trotzdem eine große Sache und voll so beträchtlicher politischer Implikationen? Die Olympischen Spiele sind ohne Zweifel die prestigeträchtigste Veranstaltung im globalen Sport und eines der größten Ereignisse im jeweiligen Jahr, in dem sie ausgetragen werden. Es ist eine Veranstaltung, die den Geist und das Erbe der Menschheit verkörpert, und daher hielten die alten Griechen die Spiele zu Ehren der Götter ab.

Infolgedessen wurde die Austragung Olympischer Spiele für die Nationen zu einem Statussymbol. Als Peking 2008 zum ersten Mal die Olympischen Sommerspiele ausrichtete, wurde das als ein riesiges Ereignis für die Volksrepublik angesehen, was wiederum als ein Zeichen für Chinas eigenen Aufstieg, Erfolg und wachsenden internationalen Status betrachtet wurde. Es war "Chinas Moment". Dies geschah jedoch zu einer Zeit, wo die USA und der Westen insgesamt offen für ein stärkeres Engagement mit Peking waren. Da man glaubte, China würde sich in ein westliches Modell "verändern", gab man dem Anlass eine stillschweigende Zustimmung.

Jetzt wird der neue Konsens über China von der Tatsache getrieben, dass sich das Land tatsächlich nicht zu dem verändert hat, was man sich einst erhoffte. Dass sich die Volksrepublik nach ihren eigenen ideologischen Bedingungen und auf ihre eigene Weise entwickelte, wurde als nicht mehr akzeptabel erachtet. Im Gegenzug versuchen die USA, einen internationalen Krieg der öffentlichen Meinung gegen Peking voranzutreiben, der hauptsächlich mit der Karte der Menschenrechtsverletzungen gespielt wird. Man will nicht, dass China sich aus Ereignissen wie den Olympischen Spielen Prestige, Status oder Akzeptanz für das verschafft, wie es als Nation sein will. Indem die Vereinigten Staaten einen diplomatischen Boykott einleiten und wahrscheinlich andere dazu zwingen dasselbe zu tun, glauben die USA, dass die Verweigerung ihrer "Zustimmung" ein symbolischer Versuch ist, China zu entfremden, zu isolieren und zu demütigen. Um der Volksrepublik damit den Status eines minderwertigen Landes anzuhängen, das nur wirklich existieren, gedeihen und wachsen kann, wenn es seinen Erfolg auf dem Pfad sucht, den die USA für das Land vorgesehen haben.

Dies ist natürlich eine Denkweise, für die sich ihre Befürworter immer wieder von dem Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau inspirieren lassen – weshalb China sie wiederholt als "Mentalität des Kalten Krieges" angeprangert hat. Diese Denkweise impliziert aber auch, dass die Olympischen Spiele als Ganzes nur dann von Wert sind, wenn die USA und ihre Verbündeten damit einverstanden sind. Daher dreht sich der Diskurs darum, wie China scheinbar in Ungnade gefallen ist; und nicht darum, wie sich die USA zunehmend isolieren oder herumalbern. Deshalb ist Peking wütend; China wird nicht gleichberechtigt behandelt und einer moralistischen Vergeltung ausgesetzt – wie in alten Zeiten. Im Grunde ist dies ein Kampf um Prestige und geopolitischen Status. China versucht zuversichtlich zu sein, dass es nicht auf die "westliche Zustimmung" angewiesen ist um voranzukommen, bleibt sich jedoch der amerikanischen Versuche, es zu demütigen, sehr wohl bewusst.

Das bedeutet, dass Peking die Sache nicht einfach abschütteln wird und sagen: "Nun, wir wollen euch sowieso nicht dabeihaben!" Man wird aber versuchen, den Gesichtsverlust mit allen Mitteln wettzumachen, damit die Veranstaltung ein großer Erfolg wird. Und China hat mehrere Punkte, die es gewinnen kann. Wie wird man also vorgehen?

Zuallererst ist anzumerken, dass Russlands Wladimir Putin an der Veranstaltung teilnehmen wird. China wird sich auch nach anderen Staatenlenkern umsehen, die ebenfalls teilnehmen wollen, und sich auf diplomatischem Weg aktiv für Delegierte einsetzen. Höchstwahrscheinlich von außerhalb des Westens, um zu demonstrieren, dass China nicht gemäß westlicher "Zustimmung" handelt. Man kann erwarten, dass auch Premierminister Imran Khan aus Pakistan sowie führende Persönlichkeiten aus Südostasien, Afrika und Lateinamerika eingeladen werden. Deren Medien werden wahrscheinlich auch Vollgas geben, um ihre Persönlichkeiten so weit wie möglich zu promoten und um ein Narrativ zu setzen, zumal die westlichen Medien sicherlich darauf aus sind, die Party zu verderben.

Die eigentliche Essenz der Olympischen Spiele ist der Wettbewerb. Aber jetzt spielt ein anderer Wettbewerb eine Rolle, abseits von Schnee und Eis: der Wettbewerb zwischen den USA und China um globales Prestige. China ist bestrebt, die Veranstaltung erfolgreich über die Bühne zu bringen, als Beweis für seine schnelle Entwicklung, seinen weltweiten Aufstieg und seine nationalen Errungenschaften. Wobei Peking die einzige Stadt sein wird, die sowohl die Sommer- als auch die Winterolympiade ausgerichtet haben wird. Auf der anderen Seite sehen die USA die Sabotage dieser Bestrebungen nun als Teil einer umfassenderen Kampagne, um Chinas Aufstieg zu vereiteln und internationale Normen, Regeln und Standards im Einklang mit dem zu setzen, was Washington von Peking erwartet.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Übersetzt aus dem Englischen.

Tom Fowdy ist ein britischer Autor und Analytiker für Politik und internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien. Er twittert unter @Tom_Fowdy

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