Meinung

Mal einen Gedanken voraus: Wohin führt die ganze Auseinandersetzung in der Ukraine?

Wie geht es weiter nach der militärischen Konfrontation in der Ukraine? Das wird in den üblichen Medien nicht diskutiert, sollte aber doch die Frage sein, die jeder politischen Entscheidung vorausgeht. Was passiert weiter mit den Sanktionen, und wie sind die Aussichten für Westeuropa und Deutschland?
Mal einen Gedanken voraus: Wohin führt die ganze Auseinandersetzung in der Ukraine?© IMAGO/Alexander Pohl

von Dagmar Henn

Nach mehr als zwei Monaten des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine und immer weiter steigender Kriegshysterie im Westen sollte man sich einmal die Zeit nehmen und betrachten, welche möglichen Ausgänge welche Folgen hätten und wie wahrscheinlich es sein dürfte, dass sie eintreten. Und dabei vielleicht ein wenig Augenmerk auf die hiesige Lage legen.

Wenn man der Medienerzählung folgt, also der Variante für das gemeine Volk, dann besteht das Ziel des Westens in einem Sieg der Ukraine über Russland; einer Ukraine, die dann auch in die NATO eintreten darf. Tun wir einmal so, als wäre das eine realistische Variante. Welche Folgen hätte das?

Würde damit auch das Sanktionsregime aufgehoben, bliebe zumindest die Ökonomie in Westeuropa funktionstüchtig, sofern man die Schäden, die die Grünen anrichten, ausklammert. Politisch würde sich die ukrainische Version des Nazismus, die jetzt schon immer schneller einsickert, im Westen Europas und insbesondere in Deutschland immer weiter ausbreiten; schließlich lässt sich deutlich erkennen, dass der manische Russenhass hier auf fruchtbaren Boden fällt.

Die ökonomische Krise, die ein wichtiger Teil der ganzen Lage ist, wäre nach wie vor ungelöst; die momentane Inflation bliebe zum Teil erhalten, da sie nicht zur Gänze Sanktionsfolge ist, sondern auch die Konsequenz der Geldpolitik seit 2008. Die Vereinigten Staaten würden in dieser Konstellation zwar auf der einen Seite scheinbar gewonnen haben, auf der anderen aber einen Hauptteil der ökonomischen Verwerfungen abbekommen und bald damit beschäftigt sein, ihre inneren Widersprüche irgendwie in den Griff zu bekommen. Die deutsche Exportindustrie würde einbrechen, weil das nächste Angriffsziel auf der Liste der USA China heißt und die deutschen Wirtschaftsverbindungen dorthin noch stärker sind als jene nach Russland. Eine deutsche Politik, die sich auf eine massive Stärkung der Binnennachfrage verlegt, könnte einiges davon abfangen, aber eine solche Politik ist mit dem gegenwärtigen Personal undenkbar. Das Ergebnis wäre Stagnation und langsamer Abstieg für Europa, schnellerer für die USA.

Würden die Sanktionen nicht aufgehoben, hieße das ein schneller ökonomischer Zusammenbruch in Europa, während sich auch in diesem Fall die USA dem nächsten Gegner China zuwenden würden. Die USA würden sich auf europäische Kosten eine Zeit lang stabilisieren; sie könnten eine unabhängige Entwicklung in Asien, Afrika und Lateinamerika vorübergehend verlangsamen, würden letztlich aber dennoch an China scheitern.

Das eigentliche Kriegsziel der USA, das nicht so laut ausgesprochen wird, lautet ein endloser Abnutzungskrieg in der Ukraine mit dem Ziel eines Regimewechsels in Russland. Klar ist, das würde die Ukraine in eine Ruinenlandschaft wie den Irak verwandeln, sie mindestens ebenso ausbluten wie Russland und als dauerhaften Empfänger humanitärer Unterstützung wie einen Betonklotz an die Beine eines sinkenden Europas binden, das mit dem gegenwärtigen Sanktionsregime wirtschaftlich nicht überlebensfähig ist.

Die USA hätten sich eine kurze Frist verschafft, in der sie den Kopf noch über Wasser halten – vorausgesetzt, der Regimewechsel in Russland verläuft in ihrem Sinne. Das allerdings ist eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass ein Regierungschef, der sich jahrelang vergeblich um gute Beziehungen zum Westen bemüht hat, durch einen ersetzt wird, der ihn von Anbeginn als Feind sieht und entsprechend behandelt. Was sich beispielsweise im sehr raschen Abschluss eines offiziellen militärischen Bündnisses mit China manifestieren könnte. Phase zwei in der US-amerikanischen Planung, erst Russland, dann China anzugehen, würde an ein schnelles und hartes Ende kommen.

Westeuropa wäre nicht nur ökonomisch ruiniert, sondern außerdem noch mit ukrainischen Flüchtlingen geflutet, die ihren Bürgerkrieg mitsamt Bewaffnung mitbrächten. Das Resultat wäre ein längeres politisches Chaos, bis irgendwann genug Vernunft nach oben gespült wurde, um sich dann aus der Position eines Hilfsbedürftigen wieder um normale Beziehungen in Richtung des russisch-chinesischen Blocks zu bemühen.

Die nächste Variante wäre ein Teilerfolg der russischen Operation unter Aufspaltung der Ukraine. In dieser Version gäbe es zumindest die Möglichkeit, dass die Sanktionen nach einiger Zeit aufgehoben werden und ein langsamer Wiederaufbau einer europäischen Wirtschaft möglich ist. Der Abstieg der USA würde sich in diesem Szenario beschleunigen, weil sie selbst dafür gesorgt haben, dass weltweit eine Niederlage der ukrainischen Armee als eine Niederlage der USA gesehen wird, die sie sich im Grunde nicht leisten können.

Dadurch, dass der Mythos der militärischen Überlegenheit des Westens demontiert wurde, eröffnet sich der politische Spielraum für Westeuropa, sich von den USA zu distanzieren; auch hier bräuchte es dafür allerdings vermutlich einen Wechsel des politischen Personals, was heißt, dieser Schritt würde erst nach einer längeren Periode erfolgen, die von ökonomischem Stillstand bis Niedergang geprägt ist.

Russland würde in diesem Fall stabil bleiben, und der Angriff auf China bliebe aus, weil der Einfluss der USA schneller schwände, als sie ihn geltend machen könnten, um Verbündete für diese zweite Phase zu finden.

Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit eines vollständigen russischen Erfolgs. Ob im Ergebnis eine neutrale Ukraine in einem Stück oder viele kleinere Staaten bleiben, von denen sich ein Teil direkt der russischen Föderation anschließt, ist global gesehen egal. Die Konsequenzen entsprächen jenen eines Teilsieges, nur schneller.

Das ist aber noch nicht das volle Spektrum der Möglichkeiten. Denn es gibt noch die maximal negative. Schließlich wird seitens der NATO-Staaten lautstark erklärt, Russland dürfe in der Ukraine nicht gewinnen; und das ist aus US-Sicht, wenn man die Folgen für deren Machtposition betrachtet, tatsächlich so. Die Möglichkeiten, einen solchen Sieg konventionell militärisch zu verhindern, sind allerdings sehr begrenzt.

Natürlich, es wird augenblicklich an jeder Stelle gezündelt, an der gezündelt werden kann, von der Anklage gegen den ehemaligen pakistanischen Premierminister bis hin zum Beschluss des estnischen Parlaments, die Grenzziehung zu Russland in Frage zu stellen (nur als Maßstab – Estland hat weniger Einwohner als München); aber die relevante Frage lautet, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die USA, wenn ihnen konventionell die Felle davonschwimmen, lieber einen nuklearen Konflikt beginnen als still unterzugehen? Das ist das Rätsel, das man nicht lösen kann, denn die Antwort liegt irgendwo zwischen dem Weißen Haus und dem Pentagon. Dass die gegenwärtige US-Regierung dazu bereit wäre, kann man allein an ihrem Umgang mit Europa sehen, dessen wirtschaftliche Perspektiven ohne Zögern eliminiert wurden. Aber es ist zum Glück nicht gesichert, dass die US-Militärs diesen Wahn teilen.

Dann gäbe es noch zwei Versionen eines plötzlichen Ausbruchs von Vernunft. Im ersten käme selbst die politische Führung der USA zu dem Schluss, dass die Nebenwirkungen des ukrainischen Abenteuers zu schwer sind, und fährt die Sanktionen wieder zurück. Damit bliebe der wirtschaftliche Absturz in Europa aus, auch wenn ein langsamer Niedergang auf der gegenwärtigen Grundlage nicht zu verhindern wäre, und die USA müssten sich einen neuen Ansatzpunkt für die erste Position auf ihrem Speisezettel suchen. Möglich wäre eine solche Kehrtwende aber nur vor der sichtbaren militärischen Niederlage der ukrainischen Armee, die spätestens dann unübersehbar ist, wenn die Truppen im Donbasskessel aufgerieben sind. Das heißt, der Zeitraum zur Realisierung dieser Option beträgt wenige Wochen. Das Publikum müsste dann natürlich ebenfalls eine Kehrtwende absolvieren, aber das soll das Problem der NATO-Medien sein.

Die europäische Variante wäre eine abrupte Abkehr von den USA im Interesse der Souveränität und des eigenen ökonomischen Überlebens. Sie ist leider nicht nur in Deutschland mit dem augenblicklichen Personal sehr unwahrscheinlich; schließlich haben wir eine Bundesregierung, die gerade erst jedes nationale Interesse preisgegeben hat und in der es Teile gibt, die sich daran ergötzen, "dienend zu führen." Eine Sprengung statt einer Verstärkung der NATO wäre ein erster Schritt, um nach einem Ende der US-Hegemonie einen Platz in einer multipolaren Welt zu finden. Der Absturz fiele aus; eine Reorientierung hin zum Binnenmarkt wäre sinnvoll, aber der US-Markt ist leichter zu ersetzen als der chinesische, vom Rest des Planeten ganz zu schweigen.

Von allen Versionen wäre es diese, die für die Menschen in Europa die sicherste Perspektive böte. Denn der wirtschaftliche Schaden, der andernfalls angerichtet würde, ist so groß, dass es Jahrzehnte dauern dürfte, ihn zu beheben. Jede Variante, die das Ende der US-Macht auch nur hinauszögert, bedeutet auch, dass die Verarmungspolitik gegenüber der Bevölkerung, die die letzten Jahrzehnte dominierte, noch verschärft weiter fortgesetzt wird. Der kurzfristige Sieg wäre nur einer der Milliardäre.

Aus der Sicht der gewöhnlichen Bürger aller beteiligter Länder wäre eine schnelle Kapitulation der Ukraine wie des Puppenspielers USA das Beste. Niemandem kann man ernsthaft wünschen, unter einer Regierung zu leben, die das Leben ihrer Bürger so wenig achtet wie die ukrainische. Und ein neues, friedliches Gleichgewicht auf der Welt wird es erst wieder geben, wenn die USA ein Staat unter vielen sind. Aber dafür müssten diese gewöhnlichen Bürger erst wieder die Bühne betreten und zu Subjekten statt zu Objekten der Geschichte werden.

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