Meinung

Das politische Mosaik: Sachverständigenrat, Evaluierungen, Pharmakontakte und Süddeutsche Zeitung

Ende Juni soll der mit Spannung erwartete erste Abschlussbericht zur Maßnahmenevaluierung der Bundesregierung veröffentlicht werden. Die nicht autorisierte Vorabveröffentlichung von Inhalten durch die Süddeutsche Zeitung forciert nun die Diskussion um das Expertengremium und seine Arbeit.
Das politische Mosaik: Sachverständigenrat, Evaluierungen, Pharmakontakte und Süddeutsche ZeitungQuelle: www.globallookpress.com © via www.imago-images.de

von Bernhard Loyen

Laut dem geltenden Infektionsschutzgesetz (IfSG) muss die Bundesregierung über einen eigens dafür einberufenen Sachverständigenrat bis Ende Juni Auswertungsergebnisse zu den Auswirkungen und der bisherigen Wirksamkeit der politisch verordneten Corona-Maßnahmen liefern. Der dazu ins Leben gerufene Expertenrat wird mit dem nahenden Termin seitens der Medien aufgrund einer berechtigten Erwartungshaltung der Gesellschaft zusätzlich unter Druck gesetzt, da der Ausstieg des Charité-Chef-Virologen Christian Drosten Ende April sowie die überraschende Nachnominierung des Virologen und Epidemiologen Klaus Stöhr jüngst für zusätzliche Diskussionen sorgte.

Erste größere Beachtung in den sozialen Medien erhielt der Sachverständigenrat durch die schriftlichen Kommentierungen des Ratsmitglieds Stefan Huster, der zudem auch Vorsitzender des Gremiums ist. Ein symptomatisches Beispiel für seine direkte Ansprache ist ein Twitter-Beitrag vom 4. Juni:

"Sachliche Kritik ist immer willkommen. Aber wer hier FakeNews verbreitet, mich beleidigt oder üble Unterstellungen ('Pharmalobby' usw.) verbreitet, wird blockiert. Mein Mitgefühl reicht für so viel Dummheit und Niedrigkeit nicht aus."

Zuvor hatten Twitter-Nutzer Huster persönlich darauf hingewiesen, dass er mögliche Interessenkonflikte bedienen würde, in seiner Funktion der Leitung eines Gremiums, das die Pandemiemaßnahmen der Bundesregierung eigentlich beruflich wie nebenberuflich neutral bewerten sollte. Stichworte wären dabei Kontakte zur Pharmaindustrie und regierungsberatenden Institutionen. Offiziell ist Huster als "Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum" beim Sachverständigenausschuss gelistet.

Nachweislich war Huster nebenberuflich im Jahr 2019 Moderator bei der "Pharma Networking Night" des Handelsblatts. Hier ein Screenshot des Programms aus dem Jahr 2019:

Im Jahr 2022 wiederum war er Moderator bei der Veranstaltung "Pharma 2022 – Strategie und Innovation für eine Branche im Fokus". Im Programm wird nicht nur die Lehrstuhltätigkeit erwähnt, sondern ergänzend der Zusatz "unparteiischer Vorsitzender – AMNOG-Schiedsstelle. Diese gehört wiederum zur regierungsberatenden Leopoldina-Akademie, unter anderem bekannt durch die "Ad-hoc-Stellungnahmen sowie weitere Publikationen zur Coronavirus-Pandemie". Zu AMNOG heißt es erläuternd auf der Seite des Instituts:

"Die Schiedsstelle vermittelt im Zusammenhang mit Preisverhandlungen für neue Arzneimittel nach dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zwischen Herstellern und Krankenkassen."

Diese Funktion hat Huster seit dem Jahr 2019 inne. Am 15. März dieses Jahres moderierte er die Handelsblatt-Veranstaltung, also während des laufenden Arbeitsprozesses des Sachverständigenrats zur Evaluation der Pandemiemaßnahmen. Am 28. April teilte eine Charité-Sprecherin mit, dass das Ratsmitglied Christian Drosten seine Arbeit in dem Gremium beenden würde, nachdem zuvor der FDP-Politiker Kubicki die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages schriftlich unter anderem fragte, inwieweit die "Sachverständigen für die Evaluation nach § 5 Abs. 9 IfSG über die im Gesetz genannte Anforderung hinsichtlich Unabhängigkeit" verfügen würden. 

Der Spiegel kommentierte Drostens Rückzug mit der Feststellung, wie viel man von einem Gremium erwarten könnte, "das ehrenamtlich arbeitet und aus dem eines seiner bekanntesten Mitglieder ausschied, weil die Ausstattung und Zusammensetzung nicht ausreichten, um eine wissenschaftlich hochwertige Evaluierung gewährleisten zu können". Könnten mögliche Gründe auch Vorahnungen unbefriedigender Reaktionen auf die Ergebnisse und "Kontaktschuld-Phänomene" mit dem Gremiums-Vorsitzenden gewesen sein?

Am 6. Mai interviewte die "Wissenschaftsjournalistin des Jahres 2021" Christina Berndt den Ratsvorsitzenden Stefan Huster für die Süddeutsche Zeitung. Zur Besetzung des Ausschusses sagte Huster in seinem gewohnt saloppen Tonfall:

"Die Kommission wurde 2021 je zur Hälfte vom damaligen Bundestag und der damaligen Bundesregierung besetzt, beim Bundestag zudem nach Parteienproporz. Niemand hat die Besetzung koordiniert, das merkt man leider. Wir bräuchten neben Epidemiologen unbedingt auch mehr Manpower, um die notwendige Literaturrecherche stemmen zu können."

Huster teilte im Interview mit, dass es nach seinem Verständnis "in der Gruppe große Einhelligkeit gab und gibt, dass bis Ende Juni keine wissenschaftliche Vollevaluation aller Maßnahmen" geleistet werden könnte. Gründe wären "zum einen fehlendes Personal, aber auch, weil dies der Erkenntnisstand dazu in der internationalen Wissenschaft noch gar nicht hergibt." Husters Einschätzung lautete daher, dass:

"dieses Kapitel bis Ende Juni nur auf relativ großer Flughöhe, also relativ allgemein abzuhandeln (wäre). Es ist uns wichtig, die Erwartungen hier zu reduzieren".

Abschließend versicherte er jedoch, dass "wir unseren Auftrag bis Ende Juni erfüllen werden. Zu einzelnen Maßnahmen gibt es schon gute Studien, zu anderen kann man zumindest allgemein etwas sagen". Zu dem Interview selbst schrieb Huster in einem Tweet, dass er "zur Lage in der Kommission, zur Evaluation der Pandemiepolitik, als Vorsitzender einige Dinge zu erklären versucht, weil absurdeste Falschmeldungen verbreitet wurden". Damit spielte er auf die Berichterstattung der Springer-Zeitung Welt an, die zu jener Zeit sehr kritisch die Evaluierungsmaßnahmen wie auch Bundesgesundheitsminister Lauterbach journalistisch begleiteten.

Tim Röhn, Chefreporter und Ressortleiter Schwerpunktrecherche bei der Welt, veröffentlichte daraufhin über Twitter eine interne Mail Husters vom 22. April an eine Arbeitsgruppe des Sachverständigenrats, deren Inhalt besagt, dass eine interne Order seitens Gesundheitsminister Lauterbach an das Gremium für die aktuelle Arbeit bedeuten würde: "Für uns heißt das zunächst, dass wir jedenfalls bis Ende Juni keine Maßnahmenevaluation vorlegen müssen."

Lauterbach hatte zu diesem Zeitpunkt in Erwägung gezogen, den Liefertermin der Evaluierungen zu verzögern oder sogar die ganze Maßnahme neu ausschreiben zu lassen. Huster bestätigte Röhn via Twitter (in einer längeren Kommunikation) die Planung, dass der Bericht wie vorgesehen bis Ende Juni fertiggestellt würde, "nur eine Vollevaluation der einzelnen Maßnahmen wird bis dahin nicht zu schaffen sein". In einem Antwortpart der Twitter-Diskussion (zu einer Anfrage der Welt an Huster) ließ Huster Röhn wissen, dass er schriftliche Anfragen "nur seriöse(r) Medien" beantworten würde. Welt-Journalist Röhn kommentierte dann am 28. Mai zu den Entwicklungen der Gremiumsarbeit und den jüngsten Forderungen seitens der Politik für "nötige Herbstmaßnahmen":

"Bis zum 30. Juni werden die einzelnen Corona-Maßnahmen (Maskenpflicht, 2G, Schulschließungen etc.) evaluiert. Vorher (!) wollen Lockdown-Befürworter neue Maßnahmen für den Herbst im IfSG festschreiben lassen. Wenn diese Eile nicht stutzig macht – was dann?"

Gesundheitsminister Lauterbach orakelte in der ihm bekannten Art am 5. Juni, dass "es tatsächlich eine Sommerwelle geben könnte. Sicher ist das noch nicht. Trotzdem ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, die Vorbereitungen für den Herbst zu treffen. Dies hat auch bereits begonnen. Ein Herbst wie vor der Pandemie ist noch nicht realistisch".

Am 8. Juni veröffentlichte die Süddeutschen-Journalistin Berndt nun überraschend erste Auszüge aus dem erst für Ende Juni erwarteten Evaluierungspapier. Die Anmoderation zu ihrem Artikel (Bezahlschranke) lautet:

"Masken, Ausgangssperren, 3G: Ein Ausschuss soll klären, welche Corona-Maßnahmen sinnvoll waren und welche nicht. Nun liegt ein erster Entwurf vor, der in Fachkreisen bereits kritisiert wird."

Der Inhalt, die Kommentierung zu den vorliegenden Ergebnissen, überrascht in seiner eindeutig wertenden Härte. So schreibt Berndt:

"Es steht allerdings zu befürchten, dass die wichtige Evaluation am Ende nicht die Erwartungen erfüllen wird, die Politikerinnen und Bürger sich erhoffen. Denn ein Entwurf, den die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte, wird in Fachkreisen bereits verrissen: Das Kapitel zu den Corona-Maßnahmen sei handwerklich schlecht gemacht, die Auswahl und Kommentierung der wissenschaftlichen Literatur sei einseitig, negative Folgen der Interventionen würden überbetont, wichtige Aspekte einfach weggelassen."

Dies hätten "verschiedene Fachleute aus Virologie und Epidemiologie der SZ" bestätigt. Namen der "Fachleute" und die Quelle wurden von Berndt nicht benannt. Ein weiterer offensichtlicher Angriff erfolgt in die Richtung des temporär maßnahmenkritischen Virologen Hendrik Streeck:

"Das Kapitel (zum Thema Kontaktbeschränkungen/3G-Regeln/Maskentragen) wird unter Federführung des Virologen Hendrik Streeck von der Universität Bonn erarbeitet, der sich diese Aufgabe ursprünglich mit Christian Drosten von der Berliner Charité teilen sollte. Doch Drosten hat den Ausschuss verlassen, weil aus seiner Sicht eine wissenschaftlich fundierte Evaluation der Maßnahmen nicht in der vorgesehenen Zeit und mit der personellen Ausstattung möglich ist."

Streeck zeigte sich in einer ersten Reaktion gegenüber dem Vorgehen der Süddeutschen Zeitung zumindest irritiert:

"Geleakte Arbeitsentwürfe durch anonyme Kritiker kritisieren zu lassen – so funktioniert Politik, aber dass Wissenschaftsjournalismus bei der SZ so agiert, ist immer noch erstaunlich für mich."

Stefan Huster reagierte mit der Feststellung:

"Es ist natürlich sinnlos und unfair, dass durchgestochene Textentwürfe kritisiert werden. Aber davon ganz abgesehen: Hätte jemand mit den dort vertretenen Positionen ernstlich ein Problem gehabt, wenn der Bericht nicht mit Blick auf den Herbst politisch so aufgeladen worden wäre?"

Es ist daher ein nicht zu unterschätzender politischer Vorgang, wenn nach Wochen berechtigter Kritik an einem "inhaltstaumelnden" Gesundheitsminister Lauterbach, den sich mehrenden negativen Veröffentlichungen im Zuge der Auswertungen zu den Corona-Maßnahmen seitens der Bundesregierung und einem stetig schwindenden Vertrauen eines Teils der Bevölkerung in die Regierungsarbeit, nun einer in der Coronakrise eindeutig regierungszuarbeitenden und -treuen Zeitung erste Inhalte einer Einschätzung zu Regierungsmaßnahmen lanciert werden.

Diese soll vordergründig nur einer Funktion dienen, nämlich die Maßnahmenevaluierung bereits im Vorfeld inhaltlich zu diskreditieren, zu hinterfragen, um damit von dem politischen Versagen der Regierung in den letzten zwei Corona-Jahren abzulenken. Stichworte dazu sind unter anderem: psychische wie physische Ausnahmesituationen für Millionen von Bürgern, Biografie-Demontagen hunderttausender Menschen in diesem Land, Maskengate, Milliarden-Investitionen in bedingt wirkende Impfstoffe und Negierung von stetig steigenden Zahlen von Impfnebenwirkungen.

Der FDP-Abgeordnete Kubicki kommentierte den Vorgang wie folgt:

"Die Pressefreiheit ist zu Recht ein hohes Gut und ein wichtiger Grundpfeiler unserer freiheitlichen Demokratie. Allerdings müssen sich die Verantwortlichen der Süddeutschen Zeitung schon die Frage stellen, ob sie sich mit dem Verriss eines vorläufigen Zwischenstandes des Evaluationsberichtes mithilfe von anonymen Experten einen Gefallen getan haben. Eher haben sie dem Wissenschaftsjournalismus, dem Ansehen der Evaluationsgruppe und den dahinterstehenden demokratischen Prozessen einen Bärendienst erwiesen."

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