Meinung

Regelbasierte Abgabenordnung – oder: Wie das Finanzamt einen Hilfsverein mundtot machen will

Friedensbrücke e. V. leistet seit 2015 humanitäre Hilfe im Donbass. Jetzt soll dem Verein wegen "politischer Tätigkeit" rückwirkend die Gemeinnützigkeit aberkannt werden. Das Finanzamt Eberswalde zeigt dabei einen höchst kreativen Umgang mit dem Recht.
Regelbasierte Abgabenordnung – oder: Wie das Finanzamt einen Hilfsverein mundtot machen will

Von Dagmar Henn

Zurzeit werden alle Mittel genutzt, um vom NATO-Narrativ abweichende Stimmen in Deutschland zum Schweigen zu bringen. Dieser Eindruck entsteht, wenn man die Vorgänge in letzter Zeit betrachtet, und das Finanzamt Eberswalde lieferte jüngst ein weiteres Beispiel. Es will dem Verein "Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e.V.", über den wir vor Kurzem berichteten, die Gemeinnützigkeit aberkennen.

Begründet wird das vor allem mit Reden, welche die Vorsitzende des Vereins, Liane Kilinc, auf diversen Veranstaltungen gehalten hat. Eigentlich ein absurder Schritt – ein Verein ist eine juristische Person, die nur dann handelt, wenn etwas auf Beschluss des Vorstandes geschieht. Jede Handlung, die nicht infolge eines solchen Beschlusses geschieht, ist eine Handlung einer einzelnen, natürlichen Person und kann nicht dem Verein zugerechnet werden.

Eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit zielt vor allem auf die Finanzen. Der Hauptpunkt dabei ist, dass die Spender von gemeinnützigen Vereinen Spendenbescheinigungen erhalten können, die von der Steuer absetzbar sind. Es geht also darum, Spender abzuschrecken. Ein Nebenpunkt ist, dass alles, was als "wirtschaftliche Tätigkeit" des Vereins gilt – beispielsweise, wenn Vereinsmitglieder Kuchen backen und diesen an einem Stand auf einer Veranstaltung zu Gunsten des Vereins verkaufen – der Körperschaftsteuer unterliegt, wie bei einem normalen Unternehmen. Gemeinnützige Vereine sind von der Körperschaftsteuer befreit; eine rückwirkende Aufhebung der Gemeinnützigkeit löst also eine Nachzahlung der Körperschaftsteuer aus, allerdings nur für die wirtschaftliche Tätigkeit.

Manche werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass es eine lange Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac gab. Auch Attac ist ein Verein; 2014 wurde vom zuständigen Finanzamt erklärt, die politischen Tätigkeiten von Attac seien nicht gemeinnützig, weil zu sehr auf die Tagespolitik bezogen. Attac hatte unter anderem zu Demonstrationen aufgerufen, Kongresse und Seminare veranstaltet und anderes mehr. Das Verfahren zu Attac ging bis zum Bundesfinanzhof; es endete im Februar dieses Jahres mit einem Erlass des Bundesfinanzministeriums.

Darin steht: "Es ist einer steuerbegünstigten Körperschaft gleichwohl gestattet, auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen, wenn dies der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt. Die Beschäftigung mit politischen Vorgängen muss im Rahmen dessen liegen, was das Eintreten für die steuerbegünstigten Zwecke und deren Verwirklichung erfordert. Zur Förderung der Allgemeinheit gehört die kritische öffentliche Information und Diskussion dann, wenn ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahegebracht werden soll. (…) Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten. Bei Verfolgung der eigenen satzungsmäßigen Zwecke darf die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen." Außerdem dürfe ein solcher Verein auch vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen, die nicht Satzungszweck sind.

Richtig, es ist dröge, sich mit solchen rechtlichen Fragen zu befassen. Aber gerade auf diesem Gebiet geschieht Befremdliches. Die Auffassung des Finanzamts Eberswalde fällt nämlich weit hinter diesen Erlass zurück, der auch für dieses Finanzamt bindend ist, obwohl er im Schreiben sogar zitiert wird. Und man darf nicht vergessen, dieser Schritt erfolgte nach einer Reihe von Presseartikeln, welche selbst aus der Verteilung von Trinkwasser und Brot an Bewohner frontnaher Gebiete im Donbass "Hilfe für Putins Krieg" machten, und wurde von einer Kündigung des Vereinskontos durch die Bank begleitet. Das Ziel ist also unverkennbar: Die Tätigkeit des Vereins soll mit allen Mitteln beendet werden.

Das Finanzamt Eberswalde stellt in seinem Schreiben an den Steuerberater des Vereins, mit dem die Aberkennung der Gemeinnützigkeit angekündigt wurde, fest: "Daran, dass ihr Mandant [also der Verein] seine satzungsgemäßen Zwecke umsetzt, besteht kein Zweifel." Damit sollte doch eigentlich alles gut sein, oder?

Nicht nach Meinung des Finanzamts Eberswalde. "Ihr Mandant organisierte Kundgebungen mit politischen Inhalten, wie z.B. die Protestkundgebung am 14.04.2019 in Berlin und nahm aktiv an Demonstrationen mit politischen Inhalten teil. Reden der Vereinsvorsitzenden, die sie im Namen des Vereins hält, sind gefüllt mit politischen Inhalten und im Internet abrufbar."

Die Kundgebung am 14.04.2019 hatte den Titel "Stoppt den Krieg im Donbass!" und fand zu einer Zeit statt, als die Bundesregierung als Garantiemacht der Minsker Vereinbarungen eigentlich verpflichtet gewesen wäre, genau im Sinne dieser Kundgebung zu wirken (es aber nicht tat). Dass Friedensbrücke e. V. als Verein, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren genau in diesem Gebiet humanitäre Hilfe leistete und dadurch natürlich genaue Kenntnisse über diesen in deutschen Medien gründlich beschwiegenen Krieg besaß, zu dieser Kundgebung aufrief, wird aber nun zur unzulässigen politischen Betätigung erklärt.

Die Satzung des Vereins, die das Finanzamt in seinem Schreiben sogar zitiert, und die, wie die Satzung aller gemeinnützigen Vereine, vom Finanzamt abgenommen werden musste, enthält als Mittel zur Verwirklichung des Satzungszwecks "Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens" unter anderem die "Durchführung wissenschaftlicher und anderer Veranstaltungen zur Aufklärung der Menschen und Bekanntmachung der Opfer von Kriegen und zum Meinungsaustausch über die Möglichkeiten der Verhinderung und Beendigung von militärischen Konflikten." Man muss nicht allzu scharf nachdenken, um zu erkennen, dass eine Kundgebung unter dem Titel "Stoppt den Krieg im Donbass" dieser Beschreibung ziemlich genau entspricht.

Aber betrachten wir einmal die Größenordnung. Attac wurde nach langer Auseinandersetzung die Gemeinnützigkeit wieder gewährt. Attac ist aber ein Verein, der mit zu großen, bundesweiten Demonstrationen aufruft und für diese Transparente, Fahnen und Flugblätter zur Verfügung stellt, Busse organisiert, etc. Die Kundgebung am 14.04.2019 in Berlin war eine kleine Kundgebung. Das ist bedauerlich, aber nicht von der Hand zu weisen. Welchen realen Einfluss hatte dieser Aufruf? Wie man am Umgang der Bundesregierung mit den Minsker Vereinbarungen sehen kann, gar keinen. Auch die Bemühungen des Vereins, den Krieg im Donbass sichtbar zu machen, hatten letztlich keinen Erfolg. Die ganze deutsche Politik tut nach, wie vor, als hätte es diese acht Jahre mit ihren vielen Opfern nie gegeben.

Neben diesem einen Aufruf zu einer Kundgebung vor drei Jahren gibt es dann nur noch Reden der Vorsitzenden Liane Kilinc, die dem Verein vorgeworfen werden. Und da wird es wirklich lustig. Denn alles, was auf der Homepage des Vereins geschieht, ist eine Dokumentation dieser Reden. Weder von der Vorsitzenden selbst noch auf der Seite des Vereins wird behauptet, dass diese Reden im Namen und im Auftrag des Vereins gehalten wurden. Das Finanzamt Eberswalde tut aber, als wäre dem so.

Ganze fünf Reden und ein Veranstaltungsaufruf sind "eine umfangreiche politische Betätigung". Im Verlauf von über drei Jahren. Das sind gerade zwei vorgeworfene politische Auftritte im Jahr, oder, bei einer normalen Redezeit von etwa fünfzehn Minuten, eine halbe Stunde. Umfangreich? Wie stellt sich dann dieses Finanzamt die laut Erlass des Finanzministeriums zulässige "vereinzelte Stellungnahme zu tagespolitischen Themen" vor? Einmal im Jahrzehnt?

Es ist unübersehbar, dass eine solche Auslegung nicht allgemeingültig sein kann. Denn wenn jede Äußerung von Vereinsvorsitzenden dem jeweiligen Verein zur Last gelegt werden, hieße das umgekehrt, dass jemand, der den Vorsitz eines gemeinnützigen Vereins übernimmt, damit seine politischen Rechte als Staatsbürger weitgehend verliert. Oder aber eine Tätigkeit verleugnen oder verschweigen müsste, die durchaus einen beträchtlichen Teil der eigenen Zeit in Anspruch nimmt und viel über die Person aussagt.

Der Erlass des Finanzministeriums fordert nur, dass diese politische Betätigung nicht überwiegen darf. Wenn man betrachtet, was der Verein an humanitären Tätigkeiten organisiert hat, und wenn man eine Ahnung hat, wie viel Aufwand dafür erforderlich ist, braucht es keine allzu große Fantasie, um zu erkennen, dass das mit Sicherheit eine halbe Stunde im Jahr übersteigt. Vermutlich sogar eine halbe Stunde pro Tag. Die halbe Stunde reicht nicht einmal für die Buchführung eines Monats.

Übrig bleibt also nur eins – die Tätigkeit des Vereins ist unerwünscht, weil sie dem geltenden Narrativ zuwiderläuft, und jede auch noch so an den Haaren herbeigezogene Begründung ist recht, um ihn zum Schweigen zu bringen. Wenn das geltende Recht sie nicht hergibt, Pech für das Recht.

Noch vor wenigen Jahren hätte sich das Finanzamt Eberswalde mit einem solchen Ansinnen bundesweit zum Gespött gemacht. Jetzt erweist es sich nur als folgsamer Erfüllungsgehilfe einer über die Medien aus den Diensten lancierten politischen Kampagne, deren Ziel darin besteht, alles zu zerstören, was der NATO-Propaganda widerspricht. Das nennt sich dann vermutlich "regelbasierte Abgabenordnung" und hat mit einem Rechtsstaat so viel zu tun, wie die "regelbasierte Weltordnung" mit dem Völkerrecht: rein gar nichts.

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