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Der Tag, an dem die Wehrmacht zerschlagen wurde und die Sowjets die Oberhand gewannen

Für Berlin kam Moskaus "Operation Uranus", die ungefähr in der Hälfte der fünfmonatigen Schlacht um Stalingrad gestartet wurde, völlig unerwartet. Sie ermöglichte den Sowjets schließlich, die Oberhand im Kampf gegen Nazi-Deutschland zu gewinnen.
Der Tag, an dem die Wehrmacht zerschlagen wurde und die Sowjets die Oberhand gewannenQuelle: RT © RT

Von Anatoli Brusnikin

Vor genau 80 Jahren wurden die Soldaten der 3. rumänischen Armee, in den frühen Morgenstunden, in ihren kalten Unterständen am rechten Ufer des Don, vom Donner des Artilleriebeschusses geweckt, der auf ihre Stellungen niederging. Gegen Mittag meldete Kommandant Petre Dumitrescu der Leitung der Heeresgruppe Süd, dass es unmöglich sei, den Feind daran zu hindern, den Fluss zu überqueren. Einen Tag später wurde Dumitrescus Gruppe durch massive Panzerangriffe auseinandergerissen. Und schon zwei Wochen später hatte sie praktisch aufgehört zu existieren.

Zu diesem Zeitpunkt lancierten die sowjetischen Truppen an der Südwestfront, unter dem Kommando von Nikolai Watutin, ihren Anteil an der Operation Uranus, die zu der ersten großen strategischen Niederlage für die Achsenmächte führte – letztlich der Anfang vom Ende. Für die Alliierten war die Schlacht von Stalingrad mittlerweile zum Symbol militärischer Stärke und des russischen militärischen Genies geworden.

Aber was waren die Hauptfehler des deutschen Oberkommandos? Welche revolutionären Methoden der Kriegsführung wandten die sowjetischen Generäle während der Schlacht um Stalingrad an und welche nicht offensichtlichen Folgen hatte die Unterbrechung der deutschen Offensive in Südrussland?

Ein November der Entscheidung

Der Herbst 1942 gilt als Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs. Die scheinbar unaufhaltbare Offensive der Achsenmächte und ihre Eroberung neuer Territorien und Ressourcen wurden endlich auf allen Kriegsschauplätzen gestoppt. Im Dezember lag der strategische Vorteil dann schließlich ganz auf Seiten der Alliierten. Von da an würden sie den Kriegsverlauf bestimmen, während die Deutschen und die Japaner nur noch reagieren konnten.

Natürlich würden die Briten behaupten, dass sich das Blatt am 24. Oktober 1942 in Ägypten, in der Nähe von El Alamein, gewendet habe. Als es Feldmarschall Bernard Montgomery gelang, den "Wüstenfuchs" Generalfeldmarschall Erwin Rommel und sein afrikanisches Korps zu schlagen, das von Versorgungsengpässen ausgezehrt war. Montgomery beendete die deutschen Versuche, in Ägypten einzumarschieren und den Suezkanal zu blockieren. Das Zustandekommen einer solchen Blockade hätte die Situation als Ganzes für England zweifelsohne erheblich erschwert, da der Inselstaat extrem abhängig von Ressourcen war, die aus seinen Kolonien geliefert wurden. Zwei Wochen später wurden die Briten in Nordafrika bereits von den Amerikanern unterstützt, um gemeinsam die "Operation Torch" (Operation Fackel) durchzuführen – eine groß angelegte Truppenlandung in Marokko und Algerien, also in Ländern, die formell unter der Kontrolle von Frankreichs Vichy-Regierung standen, die mit Nazi-Deutschland kollaborierte. Trotz Rommels hartnäckigem Widerstand in Tunesien war der Ausgang des Feldzugs eine ausgemachte Sache.

Die Amerikaner hingegen sind überzeugt, dass der Ausgang des Krieges im Herbst 1942 eher nicht in Nordafrika entschieden wurde, sondern auf der anderen Seite des Globus – auf der Insel Guadalcanal im Pazifik. Diese Landmasse war von großer strategischer Bedeutung, da die Kontrolle über sie es ermöglichte, die Handelsschifffahrt zwischen Australien und den Vereinigten Staaten zu sichern und den großen japanischen Marinestützpunkt in Rabaul (Neubritannien, Papua-Neuguinea) zu bedrohen. Im August landeten Einheiten des US Marine Corps auf der Insel und eroberten rasch einen wichtigen Luftwaffenstützpunkt, der später Henderson Field genannt wurde. Den ganzen Herbst über verteidigten die Marines diesen Standort erfolgreich mit Unterstützung der Luftwaffe und der Marine. Die entscheidende Schlacht fand am 13. und 14. November statt. Die Japaner verloren ihre gesamte Expeditionstruppe, mit der die Garnison von Guadalcanal verteidigt werden sollte, sowie mehrere große Schiffe, darunter die Schlachtschiffe Hiei und Kirishima. Japans Expansion nach Süden wurde bei den Salomonen und Neuguinea aufgehalten und Tokio verlor nach Dezember 1942 alle kurz zuvor eroberten Gebiete.

Tatsächlich aber zweifelten weder Hitler noch Stalin daran, dass vom 19. bis 24. November in der Steppe an der Wolga die Zukunft der Welt entschieden würde, nachdem 270.000 Wehrmachtssoldaten unter dem Kommando von Feldmarschall Friedrich Paulus in einen Kessel gezwungen worden waren, nach schweren Angriffen aus Richtung der Südwestfront und der Stalingrader Front. Das anschließende Versäumnis, die eingekreisten Einheiten freizukämpfen, brachte die im Juni gestartete deutschen Sommeroffensive unter dem Decknamen "Unternehmen Blau" zum Scheitern und zerstörte alle Hoffnungen, die Berlin auf einen erfolgreichen Ausgang des Krieges noch hatte.

Blau, die Farbe der Hoffnung

Der deutsche Generalstab nannte den Aktionsplan für die Sommeroffensive 1942 an der Ostfront "Unternehmen Blau". Das Hauptziel dieses Feldzuges war zunächst die Eroberung der Ölfelder von Maikop und Grosny. Die vor dem Krieg in Deutschland gelagerten Treibstoffreserven neigten sich dem Ende zu und sowohl synthetischer Treibstoff als auch rumänisches Öl aus Ploiești reichten bei Weitem nicht aus, um alle Panzer der Wehrmacht und alle Flugzeuge der Luftwaffe zu versorgen. Daher wurde die Offensive im Kaukasus als vorrangig angesehen. Stalingrad war ein sekundäres Ziel und ein Sturm auf die Stadt war nicht vorgesehen. Es sollte ausreichen, sie mit ständigem Artilleriefeuer zu zermürben, so wie es bei Leningrad der Fall war. Doch die Offensive lief für die Deutschen dermaßen gut, dass sich die Eroberung des Industrie- und Verkehrszentrums an der Wolga als eine leichte – ja sogar selbstverständliche – Aufgabe anbot. Diese trügerische und verlockende leichte Beute begrub schließlich das Dritte Reich.

Das Scheitern der Roten Armee im Frühjahr und Sommer 1942 war in erster Linie zurückzuführen auf Fehler Stalins und des sowjetischen Oberkommandos bei der Einschätzung der feindlichen Pläne. Tatsache ist, dass die Invasion der UdSSR ursprünglich von der Notwendigkeit diktiert worden war, die Ressourcen der Ukraine und des Nordkaukasus einzunehmen. Es war die Inbesitznahme von Lebensraum im Osten, an die Hitler und der Chefideologe der NSDAP, Alfred Rosenberg, bei der Genehmigung des Barbarossa-Plans zuerst gedacht hatten. Dies war auch von Stalin vorweggenommen worden, der 1941 seine Hauptstreitkräfte im Westen der Ukraine konzentriert hatte. Aufgrund der Unmittelbarkeit des deutschen Angriffs und der darauffolgenden katastrophalen Fehlentscheidungen der sowjetischen Führung, wurden diese Truppen in den ersten Schlachten entlang des Grenzgebietes und später bei Odessa und Kiew vernichtet.

Die deutsche Generalität, angeführt von Generalstabschef Franz Halder und Feldmarschall Friedrich Paulus – dem Hauptverfasser des Barbarossa-Plans (welch historische Ironie!) –, konnte den Führer von der Notwendigkeit überzeugen, den Blitzkrieg zu wiederholen, der im Frankreichfeldzug einen raschen Sieg gebracht hatte. Sie hielten es für möglich, den Hauptteil der sowjetischen Armee in Kesseln mit Panzer-Speerspitzen zu zerstören, worauf man die feindliche Hauptstadt einnehmen und eine Kapitulation erzwingen könnte. Der hartnäckige Widerstand der Roten Armee bei Smolensk und Moskau bewies jedoch, dass sich diese Berechnungen als falsch erwiesen, wenn auch noch nicht als fatal.

Während des Feldzugs von 1942 war sich Stalin sicher, dass der Gegner versuchen würde, das zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte: Moskau einzunehmen. Daher wurden die Hauptkräfte der Roten Armee im zentralen Teil des Landes konzentriert. Aber dieses Mal hatte Hitler keine andere Wahl – er musste dringend die landwirtschaftlichen Flächen des Kuban und die Bergbauminen des Donbass sichern, sich Öl aus Grosny beschaffen und eine Offensive auf die Ölfelder von Baku und Aserbaidschan in Gang setzen.

Die schwache Position der Streitkräfte der Roten Armee im Süden verschlechterte sich zusehends, nachdem die Truppen von Semjon Timoschenko im Mai versucht hatten, Charkow zurückzuerobern. Als Folge einer Gegenoffensive der 6. Armee von Friedrich Paulus und der 1. Panzergruppe Kleist wurden allein im Kessel von Barwenkowo 240.000 sowjetische Soldaten und Offiziere gefangen genommen. Die Front brach in der Folge zusammen und das, was offizielle Berichte einen strategischen Rückzug nannten, war in Wirklichkeit eher eine Flucht.

In diesem Augenblick beschloß Hitler, beflügelt von diesem Erfolg auf dem Schlachtfeld, die Heeresgruppe Süd in zwei Gruppen aufzuteilen. Die erste Gruppe wurde nach Süden geschickt, um die Hauptaufgabe zu erfüllen: Sie sollte die Ölfelder erobern, die zu diesem Zeitpunkt bereits von den Sowjets in Brand gesteckt worden waren, mit einem anschließenden Angriff auf Rostow am Don. Die zweite Gruppe – bestehend aus der 6. Armee von Friedrich Paulus, der 4. Panzerarmee und zwei Armeen bestehend aus Rumänen, Ungarn und Italienern – hatte die Aufgabe, die sich nach Osten zurückziehenden sowjetischen Einheiten mit dem Ziel zu verfolgen, sie in Stalingrad einzukesseln und anschließend bis zum Winter Astrachan zu erobern.

Während eine deutsche Kontrolle über Astrachan das gesamte zentrale Russland vollständig vom kaukasischen Öl abgeschnitten hätte, sah Hitler den Angriff auf Stalingrad eher als eine persönlichen Vendetta gegen den verhassten sowjetischen Führer, da die Stadt dessen Namen trug. In dieser Stadt war Stalin 1918 seinem treuesten politischen Verbündeten, Kliment Woroschilow, und auch seinem späteren Erzfeind, Leo Trotzki, begegnet. Hier hatten vor dem Krieg amerikanische Ingenieure zudem eines der Symbole der Industrialisierungspolitik Stalins errichtet, das die industrielle Macht der UdSSR repräsentierte – eine gigantische Traktorenfabrik.

Der Widerstand der Sowjets gegen den Hauptangriff auf Stalingrad, der von der 62. und 64. Armee organisiert wurde, war schwach und unter den Bedingungen in der Steppe eindeutig wirkungslos. Das deutsche Oberkommando war überzeugt, das die Sowjets endgültig an Kampfkraft verloren hatten und die letzten Verteidiger der Stadt in den Ruinen sterben würden, inmitten von Rauch, Feuer und Bombenangriffen.

Wie falsch sie doch lagen!

Der Vater der modernen Kriegsführung

Generalleutnant Wassili Tschuikow, der seit Dezember 1940 als Militärattaché und oberster Militärberater von Chiang Kai-shek diente, wurde aus China nach Stalingrad zurückbeordert. Damit hatte er die Anfangsphase des Großen Vaterländischen Krieges verpasst, obwohl er seit Beginn der Kämpfe darum gebeten hatte an die Front geschickt werden. Der Umstand, dass Tschuikow nicht die Last der bitteren Niederlagen des ersten Kriegsjahres auf seinen Schultern trug, verlieh ihm wahrscheinlich die moralische Stärke, um Stalingrad bis zum Ende zu verteidigen.

Was ihn jedoch innerhalb der Truppe berühmt machte, waren sein persönlicher Mut, seine Hartnäckigkeit, seine an Unhöflichkeit grenzende Strenge und sogar ein gewisses Draufgängertum. Im Juli 1942 wurde sein Flugzeug von einem deutschen Jäger abgeschossen, als er seine Verteidigungsstellungen inspizieren wollte. Drei Monate später, am 14. Oktober, als die Stadt zum dritten Mal gestürmt wurde, begannen selbst Tschuikows Nerven aus Stahl zu reißen, nachdem sein Hauptquartier von einem Projektil getroffen worden war. Der Generalleutnant erlitt eine Verletzung, Dutzende Armeeangehörige kamen dabei ums Leben. Und doch blieb er seinem Motto treu: 

"Hinter der Wolga gibt es für uns kein Land."

Wie aber war die Lage in Stalingrad im September und Oktober 1942? Stalingrad war ein schmaler, kaum mehr als 1 km breiter Streifen aus dicht bebauten Wohn- und Industriegebieten, der durch Bombenangriffe aus der Luft und Artilleriebeschuss verwüstet worden war. Unter den Trümmern lagen die Leichen von mehreren tausend Zivilisten – und von Soldaten beider Seiten. Die Luft war durchdrungen von dem Gestank brennender Fabriken: Roter Oktober, Barrikady, die Ziegelei, und natürlich die riesige Stalingrader Traktorenfabrik. Öl sickerte aus Vorratstanks in die Wolga und brannte auf der Wasseroberfläche. Während Lastkähne und Boote nachts, unter unerbittlichem feindlichem Feuer, Verstärkung vom linken Ufer zum rechten und verwundete Soldaten vom rechten zum linken Ufer transportierten.

Bis Mitte November war die Verteidigungslinie der 62. sowjetischen Armee in mehrere Widerstandsnester aufgesplittert worden. Es ist schwierig, im Nachhinein genaue Zahlen zu ermitteln, da die Kämpfe ununterbrochen weitergingen. Aber Experten kamen zu dem Schluss, dass entlang der tatsächlichen Kontaktlinie nicht mehr als 20.000 sowjetische Truppen etwa dreimal so vielen deutschen Soldaten der 6. Armee von Feldmarschall Paulus gegenüberstanden.

Ein Großteil der Kämpfe fanden praktisch als Nahkampf statt. Von Trümmern und Barrikaden umgeben, konnten die deutschen Panzer nicht manövrieren und wurden zu einem leichten Ziel für Panzerabwehrkanonen und Molotowcocktails. Die Frontlinien verliefen teilweise entlang von Treppenaufgängen in den Trümmern ehemaliger Wohnhäuser und die Sowjets starteten nachts häufig Gegenoffensiven aus Kellern, von Dachböden herab oder aus den Tiefen des Kanalisationssystems.

Die Scharfschützen waren gefürchtet und verbreiteten viel Angst und Schrecken. In der sowjetische Propaganda wurde einer von ihnen, Wassili Saizew, als Held gefeiert. Sein legendäres, wenn auch nicht vollständig durch historische Beweise bestätigtes Duell mit dem Chefausbilder einer deutschen Ausbildungsstätte für Scharfschützen war die Inspiration für einen einen Hollywood-Film mit dem Titel "Enemy at the Gates" (Der Feind an den Toren), in dem Saizew, ein einfacher Junge aus dem Ural, von dem britischen Schauspieler Jude Law gespielt wird. Laut  Berichten von Veteranen entschieden jedoch nicht die Gewehre der Scharfschützen über den Ausgang der Schlacht um Stalingrad, sondern die einfache PPSh-Maschinenpistole mit ihrer sehr hohen Feuerrate und Effektivität im Nahkampf. 

Vor Stalingrad gab es praktisch keinen historischen Präzedenzfall für Kämpfe in großen, dicht bebauten Städten – außer vielleicht die Belagerung von Madrid durch General Francos Truppen. Es gab keine Handbücher, Erfahrungen oder Richtlinien, die städtische Kampfhandlungen beschrieben oder anleiteten. Tschuikow und seine Soldaten haben die Regeln des Häuserkampfes unter Feuer erlernen müssen und sie mit ihrem Blut auf die Trümmer von Stalingrad geschrieben. Der General und seine Armee, die später in 8. Garde-Armee umbenannt wurde, nutzten diese Erfahrungen später bei der Schlacht um Berlin, das innerhalb einer Woche nach Beginn des Sturmes auf die Stadt fiel.

Nach Stalingrad wurden die heftigsten Kämpfe in der Geschichte zunehmend eher in Städten ausgetragen als auf offenem Feld und in Wäldern – von Warschau, Königsberg und Seoul bis Grosny, Falludscha und Mariupol. Der Häuserkampf wurde in Stalingrad geboren.

Der Geist eines hingerichteten Marschalls

Die Temperaturen fielen Anfang November nachts rasch auf Minus 18 bis Minus 20 Grad Celsius. Die deutsche 6. Armee war erschöpft von einer monatelangen Offensive, dezimiert von blutigen Häuserkämpfen. Sie litt unter der eisigen Kälte und zunehmend auch unter Hunger (aufgrund der unbeständigen Versorgung entlang der wenigen Versorgungsrouten. Aber dennoch blieb diese 6. Armee beharrlich bei ihren Bemühungen: Sie wollte unbedingt Hitlers Befehl ausführen und die Armee von Tschuikow in die Wolga zurückdrängen. Ihr Schicksal wurde jedoch Hunderte von Kilometern von Stalingrad entfernt entschieden, an den Flanken einer überdehnten Front, die von schlecht ausgerüsteten und unmotivierten rumänischen Streitkräften gehalten wurden. An diesen Stellen wurden am 19. und 20. November die Hauptangriffe der Operation Uranus durchgeführt.

Die Operation Uranus war die erste einer Reihe brillanter Operationen der Roten Armee, die bereits viele der Markenzeichen trugen, die später die Strategie des sowjetischen Generalstabs bestimmen sollten.

Das erste Markenzeichen war die höchst unvorhersehbare Wahl der Gebiete für die Hauptangriffe, da diese nicht auf die Flanken der 6. Armee selbst gerichtet waren, sondern auf Gebiete tief dahinter. Zweitens wurde während der Vorbereitungszeit auf maximale Geheimhaltung geachtet, um die wahren Absichten vor dem Feind zu verbergen. Die vermeintliche Aussichtslosigkeit des Widerstands seitens der Verteidiger von Stalingrad ließ Hitler bis zuletzt davon ausgehen, dass der Roten Armee die Kräfte ausgingen und sie keine Mittel für eine Gegenoffensive mehr hatte.

Drittens wurden unorthodoxe Lösungen für komplexe Probleme gefunden und den angreifenden Streitkräften ausreichend Nachschub zur Verfügung gestellt. Ein typisches Beispiel dafür ist die Mission aus der Luft, zur Absetzung von Frostschutzmittel für die mechanisierten Einheiten der 51. und 57. Armee, die in den Steppen südlich von Stalingrad in Position waren. Der Kälteeinbruch zwang die Panzermannschaften, Gruben unter ihren Panzern zu graben und ein Feuer darin brennen zu lassen, nur um zu verhindern, dass das Kühlmittel des Panzers gefriert, was die Motoren zerstört hätte. In Ermangelung eines geeigneten Straßennetzes war es unmöglich, in der kurzen Zeit vor dem Beginn der Offensive genügend Frostschutzmittel herbeizuschaffen. Schließlich wurden über 60 Tonnen Frostschutzmittel aus der Region Moskau mit Frachtflugzeugen auf dem Luftweg geliefert. Im Laufe einer Woche absolvierten die Piloten etwa 60 Versorgungsflüge, und sie flogen dabei bei eisiger Kälte, oft nachts, in leichten Transportern, die hauptsächlich aus Sperrholz gebaut waren.

Und schließlich war "Uranus" die erste große Operation, die gemäß der von Wladimir Triandafillow in den 1920er Jahren entwickelten Theorie der "Operation in der Tiefe" durchgeführt wurde. Diese Theorie sieht nicht nur die Vernichtung feindlicher Streitkräfte an der Kontaktlinie selbst vor, sondern in der gesamten Tiefe des Schlachtfelds. Sie wurde von Marschall Michail Tuchatschewski verfeinert und in das Handbuch der Roten Armee aufgenommen. Nach Stalins Säuberungen innerhalb des Militärs im Jahre 1937 und der Hinrichtung Tuchatschewskis wurde seine Theorie für falsch und sogar schädlich erklärt. Doch sie wurde in der Praxis bestätigt und war entscheidend für den Erfolg der Schlacht um Stalingrad. Der gleiche Ansatz fand bei der Schlacht von Kursk, der Schlacht am Dnjepr, der Operation Bagration, bei der Weichsel-Oder-Operation und bei vielen anderen Operationen Verwendung.

Haarscharf an der Katastrophe vorbei

Die Hauptergebnisse der Schlacht um Stalingrad waren: die Vereitelung der deutschen Offensivpläne; die Sicherung der Öllieferungen aus Baku entlang der Wolga; der groß angelegte Rückzug der Wehrmacht; die Abwendung weiterer deutscher Vorstöße im Kaukasus; und die Tatsache, dass die Rote Armee die strategische Initiative übernehmen konnte – was einen großen Schub in der Kampfmoral der sowjetischen Truppen nach sich zog und in der Gefangennahme eines deutschen Generalfeldmarschalls gipfelte. Auch die außenpolitische Dimension wird häufig genannt, da der Winter 1942 den Weg für die ersten Verhandlungen der Alliierten über die Nachkriegs-Ordnung ebnete, der schließlich in die Konferenz von Teheran mündete.

Es gibt jedoch eine wichtige Überlegung, die üblicherweise ignoriert wird, da sie weit über einen einzigen Kriegsschauplatz hinausgeht und mehr mit dem Gesamtbild des Krieges zu tun hat: Was wäre gewesen, wenn Hitler, anstatt sich in Stalingrad zu verzetteln, seinen ursprünglichen Plan, den Kaukasus zu erobern, verfolgt hätte? Was wäre gewesen, wenn er und sein Oberkommando die eigenen Fähigkeiten realistischer eingeschätzt hätten? Was wäre gewesen, wenn es den Deutschen doch gelungen wäre, die 62. Armee von Tschuikow zu vernichten?

Kurz vor der zweiten Schlacht von El Alamein musste Erwin Rommel seine Armee verlassen und nach Europa zurückkehren, um seine Diphtherie behandeln zu lassen. Als er sich darauf vorbereitete, das Kommando an seinen Untergebenen zu übertragen, schrieb Rommel ein detailliertes Memo an den Führer. Darin hielt er die aktuelle Situation fest und forderte ihn auf, so bald wie möglich in den Kaukasus vorzudringen. Wenn die deutschen Truppen im Sommer 1942 in Stalingrad nicht bewegungsunfähig gemacht worden und stattdessen nach Transkaukasien vorgestoßen wären, dann hätte sich Großbritannien gezwungen gesehen, die eigenen Truppen von Afrika in den Nordiran zu verlegen. Im Irak war die pro-deutsche Stimmung sehr ausgeprägt, während Syrien und der Libanon unter der Kontrolle des kollaborierenden französischen Vichy-Regimes standen. Die Türkei, die fast bis zum Ende des Krieges neutral blieb, hatte starke wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland.

Nachdem die Niederlage im Ersten Weltkrieg Berlin seiner Kolonien beraubt hatte, lag die Wiederbelebung der Wirtschaft des Landes hauptsächlich auf der Erschließung neuer Märkte auf dem Balkan und in der Türkei. Auf allen Seiten von den Deutschen umgeben, wäre Ankara wahrscheinlich der Achse beigetreten, insbesondere angesichts der vorherrschenden nationalistischen und revanchistischen Stimmung im Land sowie des uralten Traums, dem Iran die Kontrolle über den Süden von Aserbaidschan zu entreißen. Eine solche Entwicklung hätte die Situation weltweit verändert, einen neuen Kriegsschauplatz geschaffen und die britische Ölförderung im Iran bedroht. Letztendlich hätte das Deutschlands Chancen verbessert, den Krieg zu gewinnen oder ihn zumindest um ein oder zwei Jahre zu verlängern.

Jedenfalls würde man in diesem Fall den November 1942 heute sicherlich nicht als Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs bezeichnen.

Übersetzt aus dem Englischen.

Anatoli Brusnikin ist ein russischer Journalist.

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