Meinung

Skripal, Chemnitz und der Countdown für Idlib: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Die "Enttarnung" zweier Russen in der Skripal-Affäre, der Kampf um die Deutung von Chemnitz und die bevorstehende Befreiung des syrischen Idlib: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für verzerrende Berichterstattung.
Skripal, Chemnitz und der Countdown für Idlib: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: Reuters

Von Thomas Schwarz

Manchmal wird das Ausmaß einer Medienkampagne erst in der Rückschau oder nach einer Phase der Abstinenz von einem Thema deutlich. Diese Abstinenz entstand im Falle Syrien durch eine (relative) mediale Nichtbeachtung in jüngerer Vergangenheit: Seit der islamistische und terroristische Charakter der durch den Westen unterstützten "Rebellen" in Syrien nicht mehr zu leugnen ist, ist es in den großen Medien vergleichsweise still geworden um den dortigen "Volksaufstand". Was könnten die deutschen Medien etwa dem Sonderbeauftragten für die Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat, Brett McGurk, entgegensetzen, der 2017 feststellte, Idlib sei "der größte sichere Hafen für Al Kaida seit 9/11"?

Als Konsument hatte man sich fast an die trügerische Ruhe und das verschämte Schweigen der Redakteure gewöhnt, hatte möglicherweise gar an eine stille mediale Läuterung beim Thema syrische "Opposition" geglaubt. In dieser Woche wurde dann allerdings ein betont düsterer Countdown inszeniert - für das "Endgame in Idlib". Die zentralen Aussagen waren dabei die bekannten NATO-Standpunkte: Die Befreiung der Stadt kommt einem Kriegsverbrechen gleich und die militanten Islamisten sind eigentlich "Rebellen", die nicht moralisch zur Aufgabe ihres Kampfes verpflichtet seien. "Idlib wird zur Todesfalle", weiß unter vielen anderen Medien die Zeit, denn: "Russland und der Iran wollen die Schlacht um Idlib. Die Katastrophe wird kommen." Die Redakteure des Axel-Springer-Verlags schürten auf andere Weise Ängste, indem etwa die Bild distanzlos die durchschaubaren "Warnungen" der USA vor Assads C-Waffen verbreiteten.

Heuchelei um Idlib - und die Erinnerung an Mossul

Man kann in diesem Zusammenhang nur an die offiziellen Reaktionen auf die Befreiung des irakischen Mossul erinnern: Die Befreiung der Stadt würde "neue Chancen auch für die Stabilisierung des irakischen Gemeinwesens bieten", erklärte Außenminister Frank Walter Steinmeier 2016. Heute fordert die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer: "Wir erwarten von Russland, das syrische Regime von einer Katastrophe abzuhalten."

Anlässlich der Befreiung Idlibs - laut Zeit und Regierung eine "Katastrophe" - läuft auch die mediale Neubewertung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf Hochtouren. War er vor Kurzem noch der "Faschist vom Bosporus", so darf er im Fall Idlib schon wieder westlicher Kronzeuge sein - schließlich geht es gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin: "Erdogan warnte vor den Folgen eines Angriffs und rief zu einem Waffenstillstand auf - Putin widersprach", so lautet die neue moralische Hierarchie der "Autokraten" bei der Tagesschau.

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Beim Tagesspiegel macht sich unterdessen eine Mischung aus Fatalismus und Realismus breit:  "Niemand wird Assad aufhalten. Weder Donald Trumps Amerika noch die ohnmächtigen Vereinten Nationen oder das hilflose Europa. Ja, sie alle werden sich empören und über die entfesselte Gewalt wehklagen, ein schlechtes Gewissen wegen des eigenen Versagens inklusive. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Regierenden von Washington bis Berlin mit Assads Verbleib im Präsidentenamt arrangiert haben." Die moralisierende Sprache wiederum kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Tagesspiegel ebenfalls zähneknirschend mit dem Sieg Assads arrangiert hat.

Geht in Idlib ein mediales Trauerspiel zu Ende?

Eine leise Hoffnung besteht: Mit der Befreiung Idlibs könnte auch ein siebenjähriges mediales Trauerspiel zu Ende gehen. Da kann man es aushalten, dass zum Finale noch einmal die medialen und die terroristischen Laiendarsteller der syrischen "Revolution" ihre Auftritte bekommen - und sowohl "Weißhelme", als auch die "Beobachtungsstelle" noch immer als normale Quellen behandelt werden, wie etwa im Deutschlandfunk.

Einschreiten sollte man aber gegen die selbstentlastende mediale Darstellung, "hinterher sei man immer klüger": Man habe den wahren Charakter des Regime-Change-Versuchs in Syrien beim besten Willen nicht erkennen können. Bereits 2013 hat Reinhard Merkel bewiesen, dass man schon damals hätte klüger sein können: "Der Westen ist schuldig", erklärte Merkel vor fünf Jahren und fuhr in dem wegweisenden Artikel in der FAZfort: "In Syrien sind Europa und die Vereinigten Staaten die Brandstifter einer Katastrophe. Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Bürgerkrieg."

Chemnitz: Lassen sich "Nazis" mit Pop-Events und Pathos bekehren?

Leidenschaftlich wurden auch in dieser Woche einerseits die Demonstrationen von Chemnitz und andererseits die Berichterstattung darüber debattiert. So sitzt die Sächsische Zeitung beim Thema Presse-Anfeindung einem Missverständnis auf, wenn sie schreibt: "Einige Leute halten es schon für einen feindlichen Akt, dass wir überhaupt unseren Job machen, beobachten, Fragen stellen." Nein - das Stellen von Fragen wird wohl weniger als feindlicher Akt angesehen. Als feindlich wird eher das empfunden, was manche Redakteure dann aus den Zitaten machen, wenn sie wieder am Schreibtisch sitzen und die unausgesprochenen Anforderungen ihres Mediums befriedigen wollen.

Wie viele "Nazis" haben sich wohl von den Stinkefinger zeigenden Pop-Fans von "#wirsindmehr" bekehren lassen? Dem, was die Sächsische Zeitung über die Chemnitz nun heimsuchende Event-Kultur sagt, ist darum zuzustimmen: "Was passiert, wenn die letzte Zugabe verklungen ist? Neonazis lassen sich durch linke Rock-, Rap- und Punkmusik kaum beeindrucken. Doch auch diejenigen, die Zweifel am Gelingen von Integration haben, dürften ihre Skepsis nach so einem Auftritt nicht verlieren."

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Das sieht die Süddeutsche Zeitung erwartungsgemäß anders und schwärmt voller Pathos: "Nach acht dunklen Tagen, in denen hasserfüllte Rechtsradikale Stimmung und Schlagzeilen beherrschten und ein ganzes Land über das vermeintliche oder tatsächliche Versagen von Politik und Polizei stritt, hat die Zivilgesellschaft ihr Versprechen eingelöst: 'Wir sind mehr'. Am Montagabend fand die bis dahin schweigende oder leise gebliebene Mehrheit in Chemnitz ihre Stimme wieder, es waren 65.000 Stimmen. Diese kollektive Begeisterung kann eine Initialzündung sein."

Der "Aufstand der Zivilgesellschaft" ist billiger als der Sozialstaat

Neoliberale Medien und Politiker predigen nun verstärkt den "Aufstand der Zivilgesellschaft", der sich in punktuellen und folgenlosen Events wie "#wirsindmehr" äußert. Die Nachdenkseiten interpretieren das als Taktik, um die für einen wirksamen Kampf gegen Rechts notwendigen öffentlichen Ausgaben zu umgehen: "Gegendemos kosten erheblich weniger Geld als Kita-Plätze, Schulsanierungen und ein ausreichender Sozialstaat. Darum ist für Neoliberale das 'zivilgesellschaftliche Engagement' das Mittel der Wahl, um gegen einen gesellschaftlichen Rechtsruck vorzugehen – und eben nicht die große staatliche Investition ins Gemeinwesen."

Die bedenklichen rechten Ausprägungen in den Demos von Chemnitz wurden diese Woche in den großen Medien über Gebühr thematisiert, wie auch RT festgestellt hat. Doch mittlerweile gibt es daneben Stimmen, die den pseudolinken Alarmismus ins Zentrum rücken, wie etwa die Nürnberger Zeitung, wenn sie schreibt: "Nichts ist geeigneter, den Rechtspopulisten neue Anhänger zuzutreiben, als ein tagelanges moralisches Trommelfeuer auf alles, was nicht links ist." Die Neue Osnabrücker Zeitung ergänzt: "Die andere, die linke Seite ist nicht besser. Sie überzieht Pragmatiker mit anmaßender Häme, sie dehnt das Recht, sie plädiert für Denk- und Sprechverbote und argumentiert unlauter. Die Lösung ist vielleicht unangenehm, aber letztlich einfach: über seinen Schatten zu springen, den Dialog zu pflegen und sich in der Mitte zu treffen statt Maximalpositionen zu pflegen. Sonst freuen sich Dritte."

Skripal-Farce: Riskante Eskalation und russische Reaktion

Wer sich zur Skripal-Affäre noch ernsthaft in den großen deutschen Medien informieren möchte, der ist zu beneiden: Er hat offensichtlich ein unerschütterliches Vertrauen. Der Durchschnittsbürger aber nimmt sowohl die britischen Verlautbarungen als auch die stützenden Kommentare deutscher Politiker und Redakteure nur noch als Farce war. Das Rätsel um die "unmöglichen Fotos" der beiden von den Briten als Verdächtige benannten Russen scheint sich geklärt zu haben. Die mediale und politische Behandlung des ganzen Falles ließen aber von Beginn an so sehr alle Standards einer seriösen Untersuchung vermissen, dass eine ernsthafte Beschäftigung damit kaum noch möglich erscheint.

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Aus diesem Grund soll das Thema hier nicht erneut mit verzerrenden und die Unschuldsvermutung mit Füßen tretenden Medienkommentaren illustriert werden, sondern mit russischen Stimmen: zum einen mit deutlichen Worten in der UN, zum anderen mit einem Medien-Zitat, das das Ende der russischen Geduld verdeutlicht. So sagte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats am Donnerstag in New York: "Ich werde die Liste dieses haltlosen und verlogenen Cocktails an Fakten nicht durchgehen. Die Zahl der Widersprüche ist jenseits von Gut und Böse." London habe eine "widerliche, anti-russische Hysterie entfesselt" und andere Länder mit einbezogen, die Zusammenarbeit mit Russland dabei aber abgelehnt, so Nebensja. "Wir haben alle Hoffnung aufgegeben, die Wahrheit über die Schuldigen herauszufinden."

Welche riskante Eskalation Großbritannien - unterstützt auch von Deutschland - mit den bislang nicht belegten Skripal-Vorwürfen ausgelöst hat, verdeutlicht ein Kommentar der russischen Zeitung Nesawissimaja Gaseta, die laut dpa schreibt: "Hat Russland London etwas entgegenzusetzen? Es scheint klar, dass Dialog nicht funktioniert. (…) Unter diesen Umständen dürften aktive Schritte Russlands am meisten bewirken: eine Herabstufung im Verhältnis zu einigen Ländern bis hin zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Das einzig reale Instrument für Russland gegen seine außenpolitischen Gegner ist Härte."

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