Nordamerika

Warum Trudeau seine extremistischen Verbündeten höher schätzt als gute Beziehungen zu Indien

Kanada ist mit Zustimmung der USA zu einem Hort für separatistische Sikh geworden und erhebt gleichzeitig unbegründete Anschuldigungen gegen Neu-Delhi. Diese Extremisten fordern offen die Balkanisierung Indiens und die Schaffung eines unabhängigen Sikh-Staates im Punjab.
Warum Trudeau seine extremistischen Verbündeten höher schätzt als gute Beziehungen zu Indien© NARINDER NANU / AFP

Von Kanwal Sibal

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau versetzte kürzlich den Beziehungen seines Landes zu Indien einen schweren Schlag, als er im Parlament erklärte, es gebe "glaubwürdige Indizien", dass der Mord an Hardeep Singh Nijjar, einem Sikh-Extremisten, der in Kanada Zuflucht gefunden hatte, "potenziell direkte Verbindungen zur indischen Regierung" habe. Er habe diese Angelegenheit bereits während des G20-Gipfels im vergangenen September gegenüber dem indischen Premierminister Narendra Modi in "unmissverständlichen Worten zur Sprache gebracht". In einer Sprache, die an diplomatische Unverschämtheit grenzt.

"Glaubwürdige Indizien" stellen keinen Beweis für irgendetwas dar, und die Verbindung zur indischen Regierung als "potenziell" zu bezeichnen, ist bereits ein Eingeständnis dafür, dass überhaupt noch keine endgültigen Schlussfolgerungen gezogen werden konnten, da die Untersuchungen zudem noch nicht einmal abgeschlossen sind. Eine freundlich gesinnte ausländische Regierung aufgrund von ungesicherten Indizien dermaßen leichtsinnig einer Mittäterschaft bei einem Mord zu bezichtigen, zeugt von politischer Zwanghaftigkeit und von Defiziten in der Persönlichkeit des kanadischen Premierministers.

Der kanadische Oppositionsführer Pierre Poilievre hat von Trudeau die Vorlage von Beweisen zur Untermauerung seiner Anschuldigungen verlangt. Aber selbst während einer Unterrichtung über den Fall hinter verschlossenen Türen sei Trudeau nicht über das hinausgegangen, was er im Parlament bereits verlautbart hatte, erklärte Poilievre. Er räumte gegenüber den Medien ein, dass es für Kanada unangenehm wäre, wenn sich die Anschuldigungen von Trudeau letztlich als falsch erweisen würden.

Während Trudeau behauptete, er habe seinen nationalen Sicherheitsberater nach Indien geschickt, um die Angelegenheit zu erörtern, hat der Sprecher des indischen Außenministeriums kategorisch erklärt, dass Kanada weder damals noch später irgendwelche spezifischen Informationen mitgeteilt habe. Indiens Außenminister Jaishankar bekräftigte bei einem Treffen mit dem Council of Foreign Affairs (Rat für Außenpolitik) in New York, dass Kanada keine spezifischen oder relevanten Informationen an Indien weitergegeben habe, um damit seine Anschuldigungen zu untermauern und Indien die Gelegenheit zu geben, die Sachlage zu überprüfen.

Der US-Botschafter in Kanada hat gegenüber den Medien verlautbart, dass die Behauptung einer indischen Verbindung zu dem Mord an Hardeep Singh Nijjar auf Geheimdienstinformationen der großen westlichen "Five Eyes" basiere. Vermutlich kamen diese Informationen aus einem Geheimdienst der USA oder Großbritanniens. Dies scheint ein bequemer Trick zu sein, um eine Anschuldigung zu machen, denn es vermittelt, dass der Ankläger etwas in seinem Besitz hat, das seine Bezichtigung untermauert, impliziert aber auch, dass es nachrichtendienstliche Informationen sind, die leider nicht veröffentlicht werden dürfen, um die Quellen oder verwendeten Mittel zu schützen. Auf jeden Fall können Geheimdienstinformationen manipuliert werden, um einer übergeordneten politischen Agenda zu dienen – der US-Krieg gegen den Irak ist dafür ein eklatantes Beispiel.

Indien hat ungewöhnlich scharf auf Trudeaus Anschuldigungen reagiert. Während der Sprecher des indischen Außenministeriums sie als absurd und politisch motiviert zurückwies, erinnerte er zugleich daran, dass bereits der Premierminister Modi ähnliche Anschuldigungen, die Trudeau ihm gegenüber erhoben hatte, kategorisch zurückgewiesen hatte. Solche unbegründeten Behauptungen, so sagte der Sprecher, zielten darauf ab, von den Sikh-Terroristen und Extremisten abzulenken, denen in Kanada Zuflucht gewährt wurde und die weiterhin Indiens Souveränität und territoriale Integrität bedrohen. Die kanadische Regierung wurde daran erinnert, dass ihre Untätigkeit in dieser Angelegenheit schon lange ein Anliegen Indiens ist, ebenso wie die von kanadischen Politikern offen geäußerte Sympathie für solche extremistischen Elemente. Der Sprecher bedauerte den Spielraum, den Kanada den Sikh-Extremisten für eine Reihe illegaler Aktivitäten eingeräumt hat, darunter Morde, Menschenhandel und organisierte Kriminalität. Er warnte Kanada, dass nicht etwa der Ruf von Neu-Delhi auf dem Spiel stehe, sondern jener von Ottawa.

Indien wies außerdem darauf hin, dass zahlreiche eingereichte Auslieferungsanträge noch immer auf kanadischer Seite anhängig seien. Angesichts des politischen Einflusses, den die Sikh-Extremisten innerhalb des kanadischen politischen Systems ausüben, ist es unwahrscheinlich, dass die kanadische Regierung den Auslieferungsersuchen Indiens nachkommen wird, egal wie sehr die Kanadier ihr angeblich unabhängiges Justizsystem loben, das Personen mit nachgewiesenen Verbindungen zum Terrorismus abschiebt. Nach Angaben indischer Behörden haben neun separatistische Organisationen, die Terrorgruppen unterstützen, ihren Sitz in Kanada.

Kanada hat eiligst einen hochrangigen indischen Diplomaten ausgewiesen, ohne die Ermittlungsergebnisse zu diesem Mord abzuwarten, während Indien als Antwort einen hochrangigen kanadischen Diplomaten ausgewiesen hat. Auf eine von Kanada herausgegebene Reisewarnung für Indien reagierte Indien mit einer deutlich strengeren Reisewarnung für Kanada. Kanada wurde zudem gebeten, die Größe seiner diplomatischen Vertretung in Indien zu reduzieren – mit der Begründung, dass die Diplomaten sich in die inneren Angelegenheiten Indiens einmischten. Auch stellt Indien vorerst keine Einreisevisa mehr für Kanadier aus.

Was aber sind die politischen Zwänge auf Trudeau? Bei der Wahl 2021 gelang es seiner Liberalen Partei nicht, eine Mehrheit zu erringen. Damit seine Minderheitsregierung überleben kann, braucht sie die Unterstützung der Nationalen Demokratischen Partei, die von einem kanadischen Sikh Jagmeet Singh geführt wird und über 25 Sitze im Parlament verfügt. Während Verbindungen von Jagmeet Singh nur stark vermutet werden können – zu jenen Sikh-Extremisten, die den Separatismus in Indien betreiben und die Gründung eines unabhängigen Sikh-Staates "Khalistan" in der indischen Provinz Punjab anstreben –, ist die Größe der Diaspora der Sikh in Kanada mit mehr als 700.000 die größte Sikh-Bevölkerung außerhalb des Punjab. Dies verleiht der Stimme der Sikh in der kanadischen Politik ein großes Gewicht, denn in etwa 15 Wahlkreisen in Kanada sind sie sogar von entscheidender Bedeutung.

Der Einfluss von Jagmeet Singh in der kanadischen Politik ergibt sich aus dieser Realität. Trudeau hat daher die Diaspora der Sikh unverfroren umgarnt, bis zu dem Punkt, dass sein Besuch in Indien im Jahr 2018 zu einem politischen Desaster wurde. Bei seinem Besuch erweckte er den Eindruck, dass der Zweck seiner Reise eher darin bestand, sich bei der Sikh-Öffentlichkeit im Punjab beliebt zu machen, um damit seine politische Position zu Hause zu festigen, als ernsthafte Gespräche mit der indischen Regierung zu führen. Aus diesem Grund sympathisierte Trudeau auch offen mit dem Aufruhr der indischen Sikh-Bauern in den Jahren 2020 und 2021, wobei das Geld für diese Agitation ebenfalls von der kanadischen Sikh-Diaspora kam. Diese tatsächliche Einmischung Kanadas in die inneren Angelegenheiten Indiens macht den Vorwurf von Trudeau lächerlich, Indien mische sich in die inneren Angelegenheiten Kanadas ein.

Während seines Besuchs in Indien traf der Ministerpräsident von Punjab nur widerwillig Trudeau und überreichte ihm dabei eine Liste von Sikh-Extremisten, denen Kanada Zuflucht gewährt hat, darunter Hardeep Singh Nijjar, gegen den bei Interpol ein Ersuchen um Festnahme vorliegt, nachdem er unter falschem Namen nach Kanada geflohen war. Er scheiterte zwar zweimal daran, die kanadische Staatsbürgerschaft zu erhalten, weil er versuchte, das Einwanderungssystem zu seinen Gunsten zu umgehen, scheint sie aber schließlich doch erworben zu haben. Gleichfalls hatte sich der Ministerpräsident von Punjab geweigert, den damaligen Verteidigungsminister Kanadas zu treffen – mit der Begründung, dieser sei ein Unterstützer von "Khalistan". Kanada sollte lieber erklären, wie ein Krimineller, gegen den bei Interpol ein Ersuchen um Festnahme vorliegt, die kanadische Staatsangehörigkeit erlangen konnte und was dies über die Rechtsstaatlichkeit in Kanada aussagt. Später sickerte durch, dass Nijjar – laut Aussagen seines Sohnes gegenüber den Medien in den vergangenen Monaten – ein- oder zweimal pro Woche Treffen mit dem kanadischen Geheimdienst CSIS hatte, was darauf hindeutet, dass er in enger Verbindung zu diesem Dienst stand.

Die Persönlichkeitsmerkmale von Trudeau erklären sein oft unverantwortliches und zynisches Verhalten. Er ist entschlossen, in Kanada an der Macht zu bleiben. Da er einer privilegierten politischen Familie entstammt – bereits sein Vater Pierre Trudeau war Premierminister und auch er unterstützte die Sikh-Extremisten –, scheint er ein gewisses Anspruchsdenken zu pflegen. Er verlangt, dass Indien Rechenschaft über sein Verhalten ablegt und mit Kanada bei der Untersuchung des Mordes an Hardeep Singh Nijjar als Flüchtiger vor dem indischen Gesetz zusammenarbeitet, ohne dass Kanada sich dazu verpflichtet, mit Indien zur Eindämmung der Aktivitäten der Sikh-Extremisten in Kanada zusammenzuarbeiten.

Diese Extremisten fordern offen die Balkanisierung Indiens, organisieren Referenden zur Schaffung eines unabhängigen Sikh-Staates im Punjab, greifen indische Vertretungen in Kanada an, drucken Plakate mit Fotos der Leiter dieser indischen Vertretungen und rufen zu deren Ermordung auf. So wird in einem Gemälde die Ermordung der ehemaligen indischen Premierministerin Indira Gandhi durch ihre Sikh-Leibwächter und die Zerstörung hinduistischer Tempel verherrlicht. Zuletzt forderte ein Anführer der Sikh-Extremisten mit US-amerikanischer und kanadischer Staatsbürgerschaft, dass alle Hindus Kanada verlassen sollten.

All dies gilt für Trudeau mit seinen "woken", angeblich an Minderheiten orientierten Überzeugungen sowie für das kanadische Establishment insgesamt als akzeptabel. Sie betrachten dies als Teil der Meinungsfreiheit und des Rechts auf Protest in einer liberalen Demokratie, die auf Rechtsstaatlichkeit basiere. Trudeau hat sogar die Arroganz und Kühnheit zu fordern, dass sich die Herangehensweise der indischen Regierung und ihrer Geheimdienste gegenüber den Sikh ändern müsse.

In dieser Episode ist die Rolle der Anglosphäre und der großen "Five Eyes" aus westlichen Geheimdiensten bemerkenswert und muss von der indischen Diplomatie berücksichtigt werden. Die USA haben Kanada im Vorgehen gegen Indien unterstützt und sogar dazu ermuntert. Sowohl der Nationale Sicherheitsberater der USA Jack Sullivan als auch der US-Außenminister Antony Blinken haben Indien zur Zusammenarbeit mit Kanada aufgefordert und erklärt, dass es Rechenschaft ablegen müsse, wobei Sullivan taktlos bemerkte, dass kein Land eine besondere Ausnahme  für solche Handlungen beanspruchen könne, während Blinken verlautbarte, die USA würden darauf bestehen, dass bestimmte Grundsätze eingehalten würden.

Während man den politischen Zwang der USA verstehen kann, einen treuen und pflichtbewussten Verbündeten wie Kanada zu unterstützen, wird das in Indien nicht unbemerkt bleiben, während die USA derzeit versuchen, ihre Beziehungen zu Indien zu vertiefen. Durch die Haltung der USA wird jedoch implizit angedeutet, dass Indien gegenüber Kanada rechenschaftspflichtig sei, während man nicht ein einziges Mal auf die Notwendigkeit hinweist, dass Kanada ebenfalls mit Indien kooperieren müsse, um indischen Bedenken in der Frage der Sikh-Extremisten Rechnung zu tragen. Diese Haltung der USA wird in Neu-Delhi durchaus registriert. Was die angeblichen Prinzipien und Grundsätze der USA betrifft, so stehen sie im Widerspruch zu zahlreichen gezielten Tötungen auf ausländischem Boden. Mir fallen spontan die Namen Osama bin Laden, Aiman az-Zawahiri, General Qassem Soleimani sowie die Mullahs Fazal Hayat (Fazlullah) und Akhtar Mansur ein. Trudeau selbst hatte damals in einem Tweet die Ermordung von Ayman al Zawahiri gutgeheißen. Es zeigt sich immer und immer wieder eine eklatante Doppelmoral.

Stehende Ovationen für den ehemaligen Nazi-Kollaborateur Jaroslaw Hunka im kanadischen Parlament, auch mit dem persönlichen Applaus von Trudeau, der sich laut Pierre Poilievre, dem Oppositionsführer, zuvor persönlich mit Hunka getroffen hatte, werfen viele Fragen über die dunkle Seite der kanadischen Politik und Gesellschaft auf. Das wohlgepflegte Bild Kanadas als das einer liberalen Demokratie, die westliche Werte, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit vertritt, würde erfordern, dass Kanada im Interesse der Transparenz offenlegt, wie vielen ehemaligen Nazis in Kanada inzwischen Zuflucht gewährt wurde, und dass eine nationale Bestandsaufnahme darüber gemacht wird, warum Kanada zu einer Demokratie dergestalt geworden ist, in der Sikh-Terroristen, Kriminelle, Drogendealer und Menschenhändler Zuflucht finden.

Übersetzt aus dem Englischen.

Kanwal Sibal ist ehemaliger indischer Außenminister und Diplomat und war u.a. zwischen 2004 und 2007 Botschafter in Russland. Er war zudem auch Botschafter in der Türkei, in Ägypten und in Frankreich sowie in Washington, D.C. stellvertretender Missionschef.

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