Programmbeschwerde gegen ARD: Klinkhammer und Bräutigam kritisieren Berichterstattung zu Syrien

Die "Tagesthemen" berichteten kürzlich über die Verurteilung des Syrers Anwar Raslan in Koblenz, verschwiegen aber die Rolle von Komplizen und Mitwissern in Deutschland. Einmal mehr machte "ARD-aktuell" keinen Hehl daraus, einen "Regime Change" in Syrien herbeisenden zu wollen.
Programmbeschwerde gegen ARD: Klinkhammer und Bräutigam kritisieren Berichterstattung zu SyrienQuelle: AFP © Bernd Lauter / AFP

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Programmbeschwerde / Tagesthemen 13.01.2022

Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,

die Anmoderation des Aufmachers der "Tagesthemen"-Sendung enthält mehrere grobe Verstöße gegen Programmauftrag und Programmgrundsätze des NDR-Staatsvertrags sowie des allgemeinen Medienstaatsvertrags. Sie wirft grundsätzliche Fragen auf.

Caren-Miosga-Wortlaut:

"... Heute erging in Deutschland ein Urteil, das diese Welt ein wenig gerechter macht. Diktatoren [sic!] wie Syriens Machthaber [sic!] Assad sind immer noch an der Macht. Ihre Verbrechen können dennoch gesühnt werden. Die Fotos dieser Verschollenen erinnern daran. Im syrischen Bürgerkrieg [sic!] sollen fast 15.000 Menschen zu Tode gefoltert worden sein, 100.000 gelten als vermisst. Das Weltrechtsprinzip macht es möglich. Egal, wo auf der Welt Verbrechen gegen die Menschlichkeit [sic!] begangen werden: Sie können aufgeklärt und die Täter vor [sic!] einem Gericht bestraft werden. Das ist jetzt in Deutschland zum ersten Mal geschehen."

Auch für die Anmoderation einer Nachricht gelten die "anerkannten journalistischen Grundsätze" (§ 8, Abs. [2], NDR-Staatsvertrag): Verpflichtend sind bekanntlich Sachlichkeit, weltanschauliche Unabhängigkeit usw. usf. – Nachrichten und Anmoderation sollen beim Einordnen der Informationen helfen und dazu beitragen, dass der Zuschauer sich ein fundiertes eigenständiges Urteil bilden kann. Versuche, ihn zur Unterstützung der "regime change"-Politik des West-Imperiums zu agitieren, sind in den Staatsverträgen nicht vorgesehen.

Foltern im Auftrag des Westens

Zwingend hätte daher in diesen Moderationstext die Grundinformation gehört, dass Syriens Baschar al-Assad bis zum Beginn des US-gesteuerten und -finanzierten Umsturzversuchs terroristischer Insurgenten und angeheuerter ausländischer Söldner im Jahr 2011 – fälschlich als "Bürgerkrieg" bezeichnet – ein Liebling des Westens war.  Er wurde als Reformer belobigt, weil er die Ein-Parteien-Diktatur seines Vaters Hafiz al-Assad beendete, demokratische Parlamentswahlen herbeiführte und sein Land dem westlichen Einfluss öffnete.

Bis zu jenem Zeitpunkt wurde Baschar al-Assad auch deshalb geschätzt, weil er gut bezahlte Aufträge der US-Geheimdienste (vorwiegend der CIA, aber auch der NSA und DIA) annahm und deren Gefangene in seinen Kerkern foltern ließ.

Zum Verständnis des Zuschauers hätten Tagesschau und Tagesthemen darüber informieren müssen, dass die USA quasi die Schirmherrschaft über Assads Folterpraxis hatten und ihren Vorteil daraus zogen. Es wäre hilfreich gewesen – Namen sind Nachrichten! – ausdrücklich zu erwähnen, dass sich kriminelle Sadisten wie der vormalige US-Vizepräsident "Dick" Cheney und der inzwischen gestorbene US-Kriegsminister Donald Rumsfeld (mit Billigung ihres Präsidenten George W. Bush) höchstselbst der Mitwirkung Assads beim Totquälen ihrer Opfer versicherten. Sie wagten nicht, sich innerhalb der USA auszutoben und hatten deshalb ein weitgespanntes Netz für geheime Gefangenen-Transportflüge – "extraordinary rendition" – eingerichtet.

Deutsche Komplizen

Zur Vollständigkeit der Moderation/Nachricht hätten Einlassungen darüber gehört, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) seinerzeit Beamte nach Damaskus entsandte, die an den Folterungen passiv beteiligt waren und über ihre Erfahrungen nach Deutschland berichteten. Wahrscheinliche Mitwisser waren auch Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sowie des Bundeskriminalamtes (BKA).

Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, Deutschland als Avantgarde einer weltumspannenden justiziellen Redlichkeit herauszustreichen (Miosga: "Weltrecht … heute in Deutschland erstmals …"), nicht einmal indirekt. Unvertretbar ist das schon deshalb, weil der seinerzeitige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sich ausdrücklich dazu bekannte, aus Folter gewonnene "Erkenntnisse" im Rahmen seiner ministeriellen Befugnisse auszuwerten.

Dieser deutsche "Verfassungsminister" setzte sich damit ideell über unser Grundgesetz und über die Ächtung der Folter seitens der Vereinten Nationen hinweg. Weder erinnerte ihn die Bundeskanzlerin Merkel an deutsche Staatsräson, noch erwies sich die Tagesschau seinerzeit als öffentliche Kontroll- und Protestinstanz.

Auf weitere Hindernisse für deutsche Selbstgerechtigkeit – zum Beispiel über die schäbige Rolle des vormaligen Kanzleramtsministers und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (Affären: Kurnaz! Zammar! al-Masri!) – sowie auf deutsche Gleichgültigkeit gegenüber der US-Foltertradition (KZ Guantanamo, zahlreiche "Black Sites", u. a. in Deutschland, Polen, Italien, Rumänien, Afghanistan) soll hier gar nicht erst im Detail eingegangen werden.

Man mag zu Herrn Baschar al-Assad stehen wie man will; man mag seine Wiederwahl unter Kriegs- und sonstigen einschränkenden Bedingungen für undemokratisch und gefingert halten und seine Amtsführung für kriminell: Er ist gegenwärtig der Einzige, der seinem Land ein multireligiöses und multiethnisches Zusammenleben dank laizistischer Regierungspraxis ermöglicht und das auch beibehalten will – im Unterschied zu dem islamistischen Terroristen-Geschmeiß, das ihn nunmehr unter Oberhoheit der USA und ihrer Vasallen ersetzen sollte und soll.

Im Umsturzfalle würde dieses Pack ein neuerliches Blutbad unter den Minderheiten in Syrien anrichten und das Land in einen islamistischen Gottesstaat verwandeln – der Allgemeinen Menschenrechts-Charta zum Hohn. Aus ebendiesem Grund "stehen noch viele Syrer hinter Assad". Auch seine Rehabilitation in der arabischen Welt hat längst begonnen. Ohne ihn ist eine friedliche Lösung in und für Syrien auf absehbare Zeit nicht denkbar.

Moderierte Desinformation

Das alles hätte eine gute, einordnende Anmoderation berücksichtigt – und Entsprechendes hätten zu ihrer Zeit eine Barbara Dickmann oder ein Hanns Joachim Friedrichs geboten, und zwar in astreinem Deutsch. Frau Miosga beschränkt sich hingegen grundsätzlich auf die Vorwegnahme (mit anderen Worten) genau dessen, was in der anschließenden Filmreportage noch einmal verlautbart wird.

Laut Staatsvertrag sollen die Nachrichtensendungen der ARD-aktuell "zur Völkerverständigung beitragen". Den Auftrag verfehlen Tagesschau (TS) und Tagesthemen (TT) gründlich, weil sie die transatlantische Hetzpropaganda assoziierend in ihre Moderationstexte, Reportagen, Nachrichten und Kommentare übernehmen. TS und TT liefern besonders üble Tendenzberichterstattung, wenn Informationen über Syrien und damit in Zusammenhang Stehendes gegeben werden sollen. (Nachrichten über die massenmörderische Wirkung der völkerrechtswidrigen deutschen (EU-)Sanktionen sowie die Finanzierung von Weißhelm- und anderen Terroristen in Syrien verschweigt ADR-aktuell grundsätzlich).

Qualitätsjournalismus

Dass Frau Miosga eine Meisterin der kruden Vergleiche, verhunzten Sprachbilder und verkorksten Sätze ist, soll hier nur der Vollständigkeit halber noch angemerkt werden. Dergleichen Qualität ist eben ein Nachweis dafür, dass das Peter-Prinzip auch in der redaktionellen Hierarchie der ARD-aktuell gilt.

Man hat der Moderatorin wohl beigebracht, kurze Sätze zu formulieren – zwecks besserer Verständlichkeit. Das kriegt sie auch hin, und wie! Ihr zufolge werden "die Täter vor Gericht bestraft". Das ist neu. Bisher wurden Täter hierzulande nur vor Gericht gestellt und von selbigem zu einer Strafe verurteilt. Bestraft wurden sie erst in einem nachfolgenden Akt, in den extra dafür vorgesehenen Vollzugsanstalten. Sprachliche Genauigkeit setzt gedankliche Genauigkeit voraus, und bekanntlich gibt nur ein Schelm mehr, als er hat.

Dass Frau Miosga die Formel "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verwendet, rundet den Gesamteindruck von ihren knapp neun Zeilen Kappes ab. Zum wiederholten Mal sei daran erinnert: Das gemeinte Verbrechen wurde erstmals (nach der Befreiung Deutschlands von der Nazi-Diktatur und unmittelbar vor Beginn der Nürnberger Prozesse) im Jahr 1946 zu einem gesonderten, eigenständigen Straftatbestand gemacht: in englischer/amerikanischer Sprache als "crime against humanity", auf Französisch "crimes contre l'humanité" und auf Russisch "Преступления против человечества". Das rechtfertigt es aber nicht, diese Nomenklatur der Weltkrieg-II-Alliierten wörtlich und in deshalb versautes Deutsch zu übersetzen – und dessen langjähriger Gebrauch wiederum rechtfertigt nicht, bei der sinnwidrigen Gewohnheit zu bleiben.

In unserer Sprache, nach unserem Verständnis werden Verbrechen eben nicht "gegen" jemanden (bzw. "gegen" etwas) begangen oder verübt, sondern "an" jemandem. Für die mehrdeutigen fremdsprachigen "humanity", "l’humanité" und "Человечество" stehen im Deutschen zwei Wörter mit sehr unterschiedlicher Bedeutung: "Menschheit" (real) und "Menschlichkeit" (ideell). Weil man gemäß deutschem Denken ein Verbrechen an Menschen verüben kann, nicht aber gegen ein Ideal, muss es im hier besprochenen Fall selbstverständlich "Verbrechen an der Menschheit" heißen.

Moderatorinnen und Moderatoren, die ihren Kopf außer zur Haarpflege auch zum Denken verwenden, wissen das alles selbstverständlich.

Der NDR-Rundfunkrat ist dazu da, die Erfüllung des Programmauftrags und die Beachtung der Programmgrundsätze sowie der Programmrichtlinien zu überwachen und gegebenenfalls durchzusetzen. Er sollte die sich häufenden audiovisuellen Angriffe der ARD-aktuell auf die intellektuelle Integrität ihres Publikums endlich stoppen und ihre als Nachrichtensendung getarnte Kränkung des gesunden Menschenverstands unterbinden. Die ARD-aktuell-"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sind Weiße Folter. Auch die ist aber in Deutschland verboten.  

Höflich grüßen

Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam

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Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein "Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V." dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

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