Russland

Letzter Vorsitzender des Obersten Sowjets Russlands: Jelzin folgte den Weisungen von CIA-Agenten

Der erste russische Präsident Boris Jelzin wurde in seiner Amtszeit durch wortwörtlich Hunderte von CIA-Agenten "betreut", die ihm Weisungen erteilten. Daran erinnerte Ruslan Chasbulatow, der letzte Vorsitzende des Obersten Sowjets in Russland bis zur Verfassungskrise 1993.
Letzter Vorsitzender des Obersten Sowjets Russlands: Jelzin folgte den Weisungen von CIA-AgentenQuelle: Sputnik © RIA Nowosti/Jurij Abramotschkin

Nicht Dutzende – Hunderte von CIA-Agenten hätten in der unmittelbaren Umgebung des ersten Präsidenten der Russischen Föderation Boris Jelzin verkehrt und diesem als "Berater" de facto Weisungen erteilt. An diese Zeiten, als transatlantische Bestrebungen auch in Russland ganz offiziell groß geschrieben wurde, erinnerte sich Ruslan Chasbulatow. Der letzte sowjetische Parlamentspräsident als Vorsitzender des Obersten Sowjets der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und dann der Russischen Föderation rekapitulierte seine Erinnerungen im Interview mit dem Radiosender Goworit Moskwa ("Hier spricht Moskau") am 11. Juni.

Zuvor gab am selben Tag Alexander Ruzkoi, der damalige Vizepräsident Russlands, dem Nachrichtenportal Lenta.ru ein Interview, in dem er erklärte, zwölf Mitarbeiter der CIA hätten Boris Jelzin zusammen mit Jegor Gaidar bei der Durchführung der Wirtschaftsreformen geholfen. [Im Laufe dieser Reformen fand eine bekanntlich eine überstürzte Wildwest-Privatisierung weiter Teile der russischen Volkswirtschaft, die Abschaffung jeglicher Planwirtschaft und Russlands Übergang zum Raubtier-Kapitalismus statt.] Eines dieser Gespräche Jelzins mit möglicherweise einem dieser Mitarbeiter will Ruzkoi noch im Jahr 1991 zufällig mitgehört haben: Der stellte Jelzin vor die Aufgabe, einen wohlanständigen Vorwand zur Freistellung Ruzkois vom Posten des Vizepräsidenten zu finden, und sprach dabei mit deutlich ausländischem Akzent.

Die CIA – ihr freundlicher Dienstleister zur Terminvergabe bei der russischen Regierung

Chasbulatow stimmte der allgemeinen Einschätzung Ruzkois zu: Auch 1996 sei Jelzin mit Washingtons Hilfe in sein Führungsamt gewählt worden, und die Kenntnisse über das volle Ausmaß des Einflusses der USA auf Jelzin in dessen gesamter Präsidentschaft stünden noch aus. Die Anzahl der Einflüsterer und Betreuer korrigierte der Vorsitzende des letzten russischen Sowjets allerdings deutlich nach oben:

"Von welchen Dutzenden will man hier reden – Hunderte waren es! […] Sie haben alles bestimmt. Es gab Fälle folgender Art: Da kommen Menschen zum Gespräch mit dem Regierungschef […] – und ein US-Amerikaner verhandelt mit ihnen über einen [möglichen Empfang durch einen] der Stellvertreter. Darüber habe ich geschrieben und Ruzkoi und viele andere auch."

Hohe Ränge aus Militär und Sicherheitsapparat in die USA zur Abnahme

Über die persönliche Erfahrung des früheren Vizepräsidenten mit dem geschilderten mitgehörten Gespräch oder dergleichen ähnliche Vorfälle verweigerte Chasbulatow jeden Kommentar – mangels Kenntnis, wie er selbst dazu sagt. Dafür fügte er hinzu, dass Jelzin nach dem Sieg der Präsidentschaftswahlen seine Sicherheitsbeamten und Abteilungsleiter in die USA quasi zur Bestätigung schickte:

"Insgesamt hat Ruzkoi völlig recht. Jelzin wurde von Ausländern beraten, das stimmt. Mehr noch, nachdem er [das Moskauer Weiße Haus] zusammenschießen ließ, als er Präsident wurde, schickte er viele Militärs und Beamte aus dem Sicherheitsapparat im Rang etwa stellvertretender Minister oder Vorstände von Hauptkomitees nach Amerika – damit man dort eine Untersuchung durchführen und ein Verdikt abgeben konnte. Hierzu gibt es kein Geheimnis und davon wissen sehr viele Menschen – etwa die Generäle, die dort waren."

Laut Chasbulatow wussten jedenfalls alle über Jelzins Verbindungen zu den USA Bescheid, und US-amerikanische Beamte beeinflussten den ehemaligen Präsidenten sogar dahingehend, eine beträchtliche Anzahl der von ihm zuvor persönlich eingesetzten Mitarbeiter zu ersetzen. Nicht zuletzt gegenüber Chasbulatow selbst und gegenüber dem oben erwähnten Alexander Ruzkoi hatten die frisch in Ungnade Gefallenen damals gern aus dem Nähkästchen geplaudert – auch über die "Abnahmereisen" in die USA:

"Sie kennen Jelzins Stil: Er tauschte die 'großen Leute', die von ihm selbst eingesetzt wurden, in großer Zahl wieder aus: Erst schob er sie nach vorn und umwarb sie, anschließend verjagte er sie wieder. Und gerade sie hatten das Bedürfnis, nachdem sie verbannt waren, bei mir und bei Ruzkoi aufzulaufen – und zu berichteten. Ich selbst habe mir ein halbes Dutzend Mal von Generälen erzählen lassen, wie solche Geschichten in ihrem Fall abliefen. Ich habe keine Detektivgeschichten über belauschte Gespräche zu bieten, aber ganz allgemein war dieser Stil gut bekannt: Jelzin beriet sich in allen Personalfragen sehr eng mit ausländischen Vertretern."

Die verheerenden Auswirkungen der Reformen von Jelzin und Gaidar sind den Russen mehr als nur gut bekannt. Die Rolle der Personalpolitik Jelzins und damit – wie wir gesehen haben – die Rolle der US-Berater bei all dem verdienen es jedoch, vertieft zu werden. Der erste russische Vizepräsident Alexander Ruzkoi sprach auch das in seinem Interview an Lenta.ru klar an. Er selbst habe Jelzin mehrfach gebeten, die Überführung der russischen Wirtschaft vom sozialistischen Plan zu einem marktwirtschaftlichen Modell den Menschen "vom Fach" zu überlassen:

"Ich sagte: 'Herr Jelzin, ich habe sie doch gebeten, den Staatsplan in Ruhe zu lassen. Laden Sie Leute ein, stellen Sie ihnen die Aufgabe, ein Programm des Übergangs zur Marktwirtschaft vorzubereiten. Da sind Spezialisten des ganzen Landes versammelt, von hoher Qualifikation. Sie aber laden zur Durchführung von Reformen Halbstarke ohne Sachkenntnis und Erfahrung ein, deren Biographie aus drei Zeilen besteht: Geboren, eingeschult, verheiratet. So geht man keine Wirtschaftsreformen an.'"

Anschließend benennt Ruzkoi im Detail den Mangel an Erfahrung und teilweise auch an Ausbildung, den die von Jelzin eingesetzten Reformer vorweisen konnten: Boris Fjodorow, zum Finanzminister eingesetzt, war zuvor lediglich ein wissenschaftlicher Mitarbeiter gewesen; der zwar diplomierte Philosophieexperte und ehemalige Dozent für wissenschaftlichen Kommunismus Gennadi Burbulis wurde Vizevorsitzender der Regierung der RSFSR, als welcher er, wie Ruzkoi betont, ein ganz gewichtiges Wort in allen Fragen der Wirtschaft und des Übergangs zur Marktwirtschaft zu sprechen hatte.

Etwas weniger gerechtfertigt erscheint, wie Ruzkoi den angeblichen "Quereinsteiger" Anatoli Tschubais kritisiert, dem man in dieser Hinsicht wohl lediglich einen Mangel an Erfahrung vorhalten kann. Dafür kann man aber auch Tschubais – mit dem gleichem Recht wie auch Jelzin selbst – seine US-Berater-Hörigkeit vorwerfen. Als er zur Ausarbeitung des Privatisierungsprogramms berufen wurde und zu verschiedenen Zeiten die Posten des Vorsitzenden des staatlichen Komitees der Russischen Föderation für die Verwaltung von Staatseigentum, des Vizevorsitzenden der Regierung für Fragen Wirtschafts- und Finanzpolitik und dann in Personalunion den erstgenannten Posten und zugleich den des Vizevorsitzenden des Ministerkabinetts belegte, habe auch er sich stets von CIA-Mitarbeitern beraten lassen. Dies erklärte niemand Geringeres als auch Russlands Präsident Wladimir Putin beim "Direkten Draht" am 25. April 2013:

"In der Umgebung von Anatoli Borissowitsch Tschubais, so stellt sich heute heraus, waren feste Mitarbeiter der US-amerikanischen CIA als Berater tätig. Noch lustiger ist aber, dass sie nach ihrer Rückkehr in die USA vor Gericht gestellt wurden, weil sie sich im Zuge der Privatisierung in der Russischen Föderation unter Verletzung der Gesetze ihres eigenen Landes bereichert haben – und nebenbei als aktive Nachrichtendienstoffiziere dazu kein Recht hatten."

Ebenso wie bei Tschubais kann man Ruzkois Kritik am angeblichen "Quereinstieg" des Haupturhebers der postsowjetischen Marktreformen Jegor Gaidar als reine Polemik verstehen. Dennoch erscheint Ruzkois Kritik an Gaidars Einsatz durch Jelzin zum de facto kommissarischen Premierminister ebenso berechtigt wie die Kritik an der Wahl von Tschubais. Wie zwei der drei oben genannten Männer brachte auch Gaidar geringe Erfahrung für so hohe Verantwortung mit, was Ruzkoi bemängelt. Aber wichtiger war, dass Gaidar sich bereits als junger Ökonom der chilenischen monetaristischen Schocktherapie à la General Pinochet als der Methode der Wahl zur Überführung der Wirtschaft in eine Marktwirtschaft verpflichtet sah und sich dabei infolge seiner Zusammenarbeit mit Tschubais deutlich radikalisierte.

Ruzkoi hält die Folgen dieser CIA-diktierten Personalpolitik Jelzins und des dem entsprungenen Reformprogramms fest:

"In die Wirtschaft des Landes hatten sie das Harvard-Modell der liberalen Wirtschaft nach Milton Friedman eingebaut. [...] Die Bevölkerung wurde ihrer Ersparnisse beraubt, [...] ein Massenausverkauf des Wirtschaftspotenzials des Landes schritt voran. In den Betrieben, in der Landwirtschaft wurden keine Löhne gezahlt, ebensowenig an Ärzte und Lehrer, Militärangehörigen bezahlte man keinen Sold, die Auszahlung der Renten hatte praktisch aufgehört. 

Jelzins Wahlprogramm, das auch ich mit unterschrieben hatte, wurde exakt als sein eigenes Gegenteil umgesetzt.

Die Wirtschaft des Landes brach vor unseren Augen zusammen."

Jelzin verließ sein Amt im Jahr 1999. Bis dahin hatte er es geschafft, ein "hyperpräsidiales" politisches System aufzubauen, einem ihm feindlich gesinnten Parlament die Macht zu entziehen und auch fast alle Kontrollmechanismen auszuhebeln. Dies wurde vom offiziellen Washington unterstützt, wo man hoffte, so die Kommunistische Partei der Russischen Föderation so lange wie möglich von der Macht im neu umrissenen russischen Staat fernzuhalten.

Heutzutage ist Jelzins Vermächtnis bestenfalls ein sehr gemischtes Bild. Viele Russen halten ihn für einen Trunkenbold, der in seinem Dauerrausch das Land an westliche Kapitalisten ausverkauft hat. Im Ausland jedoch wurde er gern mit Revolutionären und Demokratieaktivisten wie Nelson Mandela aus Südafrika (was dem ersten russischen Präsidenten bei den Russen selbst den hämischen Spitznamen "Jelzin Mandela" einbrachte), mit Lech Wałęsa aus Polen oder mit Václav Havel aus der Tschechoslowakei verglichen. Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton nannte Jelzin den "Vater der russischen Demokratie" und verglich ihn gar mit Abraham Lincoln.

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