Meinung

Kampf um Massenbewusstsein: Der Westen führt in der Ukraine vor allem einen psychologischen Krieg

Die psychologische Kriegsführung spielt in modernen Kriegen eine zunehmend wichtiger werdende Rolle. Lange schon sind es nicht mehr die Soldaten, Panzer und Raketen, die den Krieg entscheiden, sondern wer die öffentliche Meinung am besten beeinflussen kann. In der Ukraine machen die USA derweil keinen Hehl mehr daraus, dass das derzeitige Kriegsgeschehen das Ergebnis einer US-Psy-Op ist.
Kampf um Massenbewusstsein: Der Westen führt in der Ukraine vor allem einen psychologischen KriegQuelle: Gettyimages.ru © Patrick Robert - Corbis

Von Désirée Stella Lambert 

Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur bei außenpolitischen und militärischen Funktionären, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregt. Mit der Gewissheit, internationales Aufsehen zu erregen, übertreffen sich westliche Medien und Regierungen seither gegenseitig in immer abenteuerlicheren Geschichten über vermeintliche Gräueltaten Moskaus und des russischen Militärs in dem Konflikt. Ganz im Sinne der USA, denn neben dem Krieg in der Ukraine führen Russland und der Westen einen intensiven psychologischen Krieg – einen Kampf, der aus strategischer Sicht nicht weniger wichtig ist als der militärische: ein Kampf um das Bewusstsein der Massen. 

Wer hat in diesem Konflikt recht? Wer ist für die Eskalation verantwortlich? Wer ist der Aggressor und wer das Opfer? Die Antworten auf diese Fragen beeinflussen die öffentliche Meinung und die Überlegungen der Entscheidungsträger. Alle an der "Psy-Op" beteiligten Parteien setzen vermeintliche Aufklärung, Kommunikation und vorgespielte diplomatische Bemühungen ein, um den psychologischen Krieg in der Ukraine zu gewinnen. Und das recht erfolgreich. So wurde die psychologische Kriegsführung im Laufe der letzten Monate zu einem beliebten Mittel westlicher Geheimdienste und Militärs, ihre Interessen in dem Konflikt durchsetzen zu können, wie US-Generäle auf einem Symposium der Association of the United States Army, einer privaten Organisation, die als Berufsverband der US-Armee fungiert, unlängst zugaben.  

"Ich denke, eine der wichtigsten Lehren aus den Kriegen in der Ukraine ist die Macht der Informationsoperationen und die Beeinflussung relevanter Bevölkerungsgruppen in der Welt", sagte Generalleutnant Jonathan Braga, Kommandeur der Sondereinsatzkräfte der US-Armee, am Dienstag gegenüber den anwesenden Reportern. "Es gibt kein internationales Militär für Spezialoperationen, mit dem ich seit der Ukraine-Krise zu tun hatte, das nicht mit uns über die Ausweitung von Informationsoperationen und psychologischen Operationskräften gesprochen hat."

Braga erläuterte, dass insbesondere von Verbündeten und Partnern im europäischen und indopazifischen Raum vermehrt Anfragen nach Ausbildung und Unterstützung bei der Ausarbeitung eines sogenannten "Widerstandsoperationskonzepts" – eines Plans, wie man nach einer Invasion von innen heraus kämpfen kann – eingegangen sind. Dazu kann materielle Hilfe gehören, aber eben auch das Streuen gewisser Informationen über Medien und Internet, um internationale Unterstützung zu gewinnen. In Bezug auf Letzteres sei die Ukraine geradezu meisterhaft gewesen, so Braga:

"Man kann ein Betriebskonzept für den Widerstand haben, aber wenn man nicht die Identität und den Willen hat, als Land und souveräne Nation Widerstand zu leisten, ist man wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Das ist bei den Ukrainern offensichtlich nicht der Fall."

Doch was ist überhaupt eine sogenannte Psy-Op?

Die RAND Corporation, ein transatlantischer Thinktank, definiert Psy-Ops als eine Methode der Kriegsführung, die "den geplanten Einsatz von Propaganda und anderen psychologischen Operationen zur Beeinflussung der Meinungen, Gefühle, Einstellungen und des Verhaltens von Oppositionsgruppen beinhaltet". Die Encyclopædia Britannica, eine englischsprachige Enzyklopädie, geht noch weiter auf die Methodik ein und beschreibt psychologische Kriegsführung als "Propaganda, unterstützt durch militärische, wirtschaftliche oder politische Maßnahmen ..., die im Allgemeinen darauf abzielen, den Feind zu demoralisieren, seinen Kampf- oder Widerstandswillen zu brechen und ihn manchmal für die eigene Position zu gewinnen" – zusätzlich zur Unterstützung einer verbündeten Kraft.

Es gibt drei verschiedene Formen der psychologischen Kriegsführung: weiße, graue und schwarze Propaganda. Unter weißer Propaganda versteht man laut der US-Air University, einer Ausbildungseinrichtung zur Weiterbildung der Offiziere und Unteroffiziere der US-Luftwaffe, im Allgemeinen "Propaganda, die von einer Regierung oder einer Organisation produziert wird, die die Verantwortung dafür übernimmt". Graue Propaganda wird hingegen als Informationsmaterial definiert, "das ohne eine identifizierte Quelle verbreitet wird". Letzteres, also schwarze Propaganda, ist Material, "das vorgibt, aus einer anderen Quelle zu stammen".

Diese drei Formen machen den Großteil aller psychologischen Operationen aus und bestimmen maßgeblich den Verlauf eines Krieges. Im Laufe der Geschichte der Kriegsführung wurden Psy-Ops deshalb sowohl von Nationalstaaten als auch von nichtstaatlichen Akteuren mit unglaublicher Wirkung eingesetzt. Das britische Militär setzte beispielsweise Flugblätter ein, um mit den darauf abgedruckten Botschaften die malaiische Armee während der "Malayan Emergency" zu befrieden – mit Erfolg. Sowohl die Aufständigen als auch die Bevölkerung gaben ihren Widerstand gegen das Empire auf. Die Malayan Emergency, auch bekannt als "Anti-British National Liberation War", war ein Guerillakrieg, der in Britisch-Malaya von 1948 bis 1960 zwischen kommunistischen Unabhängigkeitskämpfern der malaiischen Armee und den Streitkräften des British Empire and Commonwealth ausgetragen wurde.

Doch werden psychologische Operationen auch gerne zur Manipulation der eigenen Bevölkerung genutzt. 2001 erklärten die Vereinigten Staaten öffentlich, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen. Eine Fehlinformation, wie sich später herausstellte. Ihren Zweck hatte die fatale Fehlinformation allerdings bereits erfüllt. In der US-Bevölkerung wuchs nach den Anschlägen des 11. September die Angst vor einer weiteren Katastrophe. Die Behauptung diente den Spitzen der damaligen US-Administration somit als Hauptargument für einen erneuten Krieg gegen den Irak, der mit dem Einverständnis der durch die Fehlinformation verunsicherten US-Bevölkerung kurze Zeit später begann. 

Das Internet als wichtigstes Propagandamittel im Ukraine-Krieg

In der Geschichte gibt es derweil Hunderte andere Beispiele, wie militärische und paramilitärische Kräfte Zeitungen und andere Medien im Kampf gegen eine feindliche Macht einsetzten. In der Ukraine setzt der Westen bei solchen Operationen hingegen vermehrt auf das Internet. Das Geheimnis einer erfolgreichen Widerstandsbewegung bestehe demnach darin, die Kommunikationsnetze offen zu halten, damit "die Botschaft nach außen dringen kann", erklärte der Leiter des US-Army Space and Missile Defense Command, Generalleutnant Daniel Karbler, der ebenfalls auf dem Symposium sprach.

In diesem Zusammenhang verwies er auf das Starlink-Kommunikationsnetzwerk von SpaceX, dass dessen Chef Elon Musk der Ukraine im Frühjahr zur Aufrechterhaltung des Internets zur Verfügung gestellt hatte. Dem stimmte Braga zu und merkte an, dass die Bereitstellung einer Satelliteninternetverbindung durch kommerzielle Firmen in einem Krisengebiet "tatsächlich eine Möglichkeit zur unkonventionellen Kriegsführung bieten kann – wenn man eine Situation hinter den feindlichen Linien hat, in der der Cyberspace in der Lage sein könnte, einen Effekt zu erzielen oder Informationen in verwehrte physische Gebiete zu liefern".

Die Verbreitung von Desinformationen im Krieg ist nichts Neues – sie ist sogar ein wichtiger Bestandteil des Spielbuchs. Anführer übertreiben oder fabrizieren Informationen über alles Mögliche, von militärischer Stärke bis hin zu angeblichen Gräueltaten, um Gegner zu verwirren oder die Moral im eigenen Land zu stärken. Doch mit dem Aufkommen der sozialen Medien kann Propaganda nun in einem viel größeren Maßstab eingesetzt werden – und sie wurde genutzt, um Unterstützung für Kampfhandlungen und andere Schandtaten zu gewinnen.

So sind Fehlinformationen und Desinformationen von vornherein ansteckender und aufrührerischer als sachliche Informationen, was sie in Kriegszeiten besonders nützlich macht. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Informationen, die als falsch eingestuft werden, nach einem sogenannten "Faktencheck" schneller in sozialen Medien verbreiten als Informationen, die im Allgemeinen als wahr einzustufen sind – ein Trend, der von Menschen und nicht von Bots angeheizt wird. 

Bei der Formulierung von Fehlinformationen neigen die Autoren dazu, sich auf eine moralisch-emotionale Sprache zu stützen, was es wahrscheinlicher macht, dass die "Fake News" geteilt und geglaubt werden, insbesondere innerhalb ideologischer Gruppen. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass sich die Propagandazielgruppe so auf der Seite des "Guten" wiegt. Fakten werden von dieser im Nachhinein dann in der Regel als unwahr oder gar unethisch abgetan – für die hinter der Psy-Op stehenden Drahtzieher ein voller Erfolg. 

Das Haupthindernis, das einer Beilegung des Ukraine-Kriegs somit im Wege steht, sind die sich nun durch jede Bevölkerungsschicht ziehenden ideologischen Mauern, die der Westen mit seinem psychologischen Krieg errichtet hat. So hat die psychologische Kriegsführung nicht nur zu einem Mangel an Vertrauen in die jeweils andere Seite beigetragen, sondern auch zu einer Verschärfung des Kriegsgeschehens. Sollte der Westen nicht davon ablassen, ist es zweifelhaft, dass die Ukraine-Krise gelöst wird, selbst wenn alle Truppen vom Schlachtfeld abgezogen werden und in ihre Kasernen zurückkehren.

Mehr zum Thema - Psy-Ops über Twitter: Pentagon ordnet Überprüfung des eigenen Informationskriegs an

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